Bürgerbeteiligung spielt für das Gelingen der Energiewende eine Schlüsselrolle
Proteste gegen Energiewende-Projekte sind bundesweit an der Tagesordnung. Auch in Ostdeutschland regt sich beim Neubau von Windparks oder Stromleitungen an vielen Orten Widerstand in der Bevölkerung. Eine wesentliche Ursache für den Unmut der Betroffenen ist, dass sie nicht ausreichend in Vorhaben eingebunden werden. Nur durch eine frühzeitige und umfassende Bürgerbeteiligung können Ängste und Befürchtungen abgebaut werden. Ein Beitrag von Prof. Dr. Gernot Barth, Leiter Steinbeis Wirtschaftsmediation, Leipzig
Die Beteiligung der Bevölkerung spielt für das Gelingen der Energiewende eine Schlüsselrolle. Bürger fordern mehr Beteiligung. Sie möchten sich aktiv in die Gestaltung ihres Lebensumfeldes einbringen. Sie wollen bei Planungen und Entwicklungen mitreden und Entscheidungen nicht allein politischen Repräsentanten, Genehmigungsbehörden, Vorhabenträgern und Sachverständigen überlassen. Sie verlangen einen Dialog auf Augenhöhe, bei dem ihre Meinungen ernstgenommen und in Beschlüssen sichtbar werden. Dies gilt auch und gerade für die Energiewende, die vor ihrer Haustür stattfindet. Denn die Energieversorgung berührt jeden.
Wie wir aus vielen Befragungen wissen, bejaht die breite Mehrheit der Bevölkerung die aufgrund des Klimawandels zwingend notwendige Energiewende. Das Problem bei den dafür erforderlichen Projekten ist, dass die Verantwortlichen die Betroffenen vor Ort nicht rechtzeitig und umfassend beteiligen. Dies wird von den Bürgern in schöner Regelmäßigkeit beklagt und äußert sich in entsprechenden Protesten. Sie fühlen sich mit ihren Ängsten und Sorgen allein gelassen. Sie befürchten, dass ihre Stimme nicht zählt, obwohl sie gute Ideen und ein Recht darauf haben, mitzuwirken.
Bürger frühzeitig einbinden
Die im Rahmen der Genehmigungsverfahren vorgesehenen Beteiligungsmöglichkeiten reichen bei weitem nicht aus, um die notwendige Akzeptanz zu schaffen. Die Bürger müssen so früh wie möglich, das heißt von Beginn der Planungen an, miteingebunden werden. Die Moderation, Mediation und Kommunikation im Rahmen des Beteiligungsprozesses sollten die Vorhabenträger nicht allein durchführen, sondern erfahrene Dienstleister hinzuziehen. Beteiligungsprozesse funktionieren am besten, wenn sie von einem neutralen Dritten geführt werden, der von allen Seiten als ehrlicher Makler akzeptiert wird. Nur so ist ein an den Bürgern orientiertes Akzeptanzmanagement zielführend.
Bürgern zuhören
Die Mitwirkung der Bürger ist als legitimer Bestandteil des gesamten Verfahrens zu begreifen. Dies verlangt bei den Vorhabenträgern die Bereitschaft zur Einsicht und Überarbeitung der Planungen.
Wichtig ist eine Anerkennung der Bürger und ihrer Anliegen sowie eine Einbeziehung ihrer Kenntnisse. Gemeint ist damit, zuzuhören und alle Interessen vollständig abzubilden. Nur auf dieser Basis kann ein erfolgreicher Dialog beginnen.
Keine Bürger ausgrenzen
Die Vorhabenträger dürfen niemanden ausgrenzen. Es ist grundlegend, alle betroffenen Bürger zu beteiligen, egal aus welchen politischen Richtungen und Milieus sie kommen. Es gilt, jeden anzuhören, um zu verstehen, was dem Einzelnen wichtig ist. Dies fördert ein gemeinsames Verständnis und verhindert, dass man aneinander vorbeiredet.
Zeit und Geld für eine frühzeitige und umfassende Bürgerbeteiligung sind gut angelegt. Sie beugen Protesten und Klagen vor, die Energiewende-Projekte um ein Vielfaches verlängern und verteuern oder im schlimmsten Fall ganz verhindern können. Außerdem kann die Planung durch Fach- und Ortskenntnisse der Bürger verbessert werden. Mitunter sind diese denen der Vorhabenträger ebenbürtig.
Die von der Politik mit Blick auf die Umsetzung der Klimaschutzziele berechtigt beschlossene Beschleunigung der Genehmigungsverfahren von Energiewende-Projekten sollte die Vorhabenträger nicht dazu verleiten, die Bürger und ihre Belange unter Verweis auf die gebotene Eile zu übergehen. Dies ist genau die falsche Strategie. Denn als Reaktion darauf könnten sich die Proteste verschärfen. Das Verständnis dafür, dass wir bei der Energiewende die Geschwindigkeit erhöhen müssen, ist da. Dies sollte auch für die Einbeziehung der Betroffenen gelten. Blenden wir diese aus, werden die Widerstände weiter wachsen. Denn die Energiewende kann ohne die Akzeptanz der Bevölkerung nicht funktionieren.
Der Autor
Prof. Dr. Gernot Barth ist Leiter der Steinbeis Wirtschaftsmediation mit Sitz in Leipzig. Das Unternehmen ist eines der führenden Institute für Wirtschaftsmediation in Deutschland und gibt mit der Zeitschrift „Die Mediation“ das auflagenstärkste Medium der Branche heraus. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Bürgerbeteiligung an Infrastrukturprojekten, für die das Institut im Auftrag von öffentlichen Einrichtungen und Unternehmen die Moderation, Mediation und Kommunikation übernimmt.
Internetadresse
http://www.steinbeis-mediation.com
Kontakt Autor
gernot.barth@steinbeis-mediation.com