Freitag, April 19, 2024

Die Halbleiter-Krise – Wie der EU-Chips-Act helfen soll

Die Produktion bei den Fahrzeugstellern stockt, die Auslieferungen verzögern sich, Reparaturen von technischem Gerät stellen die Auftraggeber vor größte Geduld. Überall dort, wo man auf Chips angewiesen ist, gibt es aktuell Probleme. Denn Halbleiter sind gerade Mangelware. Der Preis für viele elektronisch gesteuerte Annehmlichkeiten in unserem täglichen Leben ist hoch. Buchstäblich. Tendenz steigend. Die Corona-Krise und der Krieg in der Ukraine haben uns noch einmal in besonderer Weise vor Augen geführt, wie abhängig wir von kleinen elektronischen Bausteinen und globalen Lieferketten sind. Ein Beitrag von Dr. Christian Ehler, MdEP

Doch woran hakt es eigentlich, dass wir heute in Europa zum Teil von einer regelrechten „Halbleiter“-Krise sprechen? Eine Frage, die sich die meisten Konsumenten und auch viele Akteure in Politik und Wirtschaft zu wenig gestellt haben, weil der globale Warenaustausch bislang scheinbar reibungslos funktioniert hat. Alle industriellen Zukunftsbereiche, ob automatisierte Fahrzeuge, KI, intelligente Energiesysteme oder auch die neueste alltägliche Elektronik erfordern eine stabile Halbleiter-Wertschöpfungskette. Produziert wurde in der Vergangenheit da, wo es am billigsten war. Und das war zu 90 Prozent in Asien. Ein Dilemma, dem die EU-Kommission nun mit entschlossenen Maßnahmen entgegentreten und so die europäische Mikrochip-Produktion ankurbeln will.

Das entsprechende Gesetz, der „EU Chips Act“, soll 43 Mrd. EUR an öffentlichen und privaten Investitionen mobilisieren sowie einen Rahmen für die Steigerung der Produktionskapazitäten auf 20 % des Weltmarktes bis 2030 schaffen. Aktuell beträgt der Anteil der EU an der weltweiten Mikrochip-Herstellung, die 2020 bei 1 Billion Mikrochips lag, lediglich 10 %. In Sachen technologischer Führungsrolle und Wettbewerbsfähigkeit wird die EU künftig auch mit den USA konkurrieren, wo derzeit ein immenses Subventionspaket für die Stärkung der amerikanischen Halbleiterproduktion verabschiedet wird.

Foto: Europäische Union/Etienne Ansotte

Aus europäischer Sicht geht es beim EU Chips Act jedoch nicht in erster Linie um ein Kräftemessen mit der asiatischen und amerikanischen Chipindustrie, sondern um die Sicherstellung der Mikrochip-Versorgung der europäischen Industrie in Krisenzeiten. Neben Investitionen in Mikrochip-Technologien der nächsten Generation und dem Aufbau internationaler Halbleiter-Partnerschaften sieht der EU Chips Act daher auch Instrumente für die Früherkennung von Halbleiterengpässen und -krisen sowie ein entsprechendes Gegensteuern zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit vor – Durchgriffsrechte inklusive. Sie dürfen in meinen Augen allerdings nur Ultima Ratio sein. Auch die beabsichtigte Umkehr in der bisherigen Beihilfepolitik darf selbst im Fall der Mikrochip-Industrie nur mit Augenmaß erfolgen, um einen Missbrauch der geplanten weitreichenden Subventionen zu verhindern.

Mit dem EU Chips Act hofft Europa zudem, auch für Chipkonzerne ein attraktiver Wirtschaftsstandort zu werden. Insbesondere die Ankündigung des Chipherstellers Intel Mitte März, seine neue Giga-Fabrik in Magdeburg zu errichten, ist eine große Chance für die Bundesrepublik. Nach aktuellen Schätzungen sollen insgesamt rund 10.000 neue Jobs entstehen. Dazu kommen tausende Arbeitsplätze bei Zulieferern und attraktive Synergien mit den bereits bestehenden Werken von VW in Wolfsburg und Tesla in Grünheide, die Hauptabnehmer der Intel-Chips sein könnten.

Bei der Entscheidung, welchen Standort Intel für die größte Firmen-Ansiedlung in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten wählt, war auch Frankfurt (Oder) im Land Brandenburg ganz vorne im Rennen. Angesichts der zahlreichen Standort-Vorteile und der Jahrzehnte langen Tradition in Zukunfts-Technologien ist dies nicht überraschend. So kann Frankfurt (Oder) bereits heute in Technologie-Fragen mit dem IHP-Institut für innovative Mikroelektronik vom Institut der Leibniz-Gemeinschaft punkten, welches eines der weltweit führenden Forschungsinstitute für den Halbleiter-Bereich ist und über eine attraktive Infrastruktur in Aspekten der Wasser- und Stromversorgung sowie der logistischen Anbindung verfügt.

Die Region weist schon jetzt Kompetenzen und Forschungskapazitäten auf, die für potenzielle Investoren interessant sind, was sich bereits in zahlreichen Neuansiedelungen von hochinnovativen Unternehmen zeigt. Laut einer GFWW-Analyse sind Berlin und Brandenburg deutschlandweit führend in Bereichen wie Sensorik, Mikrosystemtechnik, Photonik und dem Sondermaschinenbau.
Erleichtert wird die Anwerbung neuer Hightech-Firmen nun zusätzlich durch den EU Chips Act, der einen investitionsfreundlicheren Rahmen für die Errichtung von Fertigungsanlagen in Europa anstrebt. Moderne Industriestandorte, wie sie in Brandenburg gleich mehrfach vertreten sind, haben eine hohe Anziehungskraft auf internationale Konzerne und stärken damit die Wirtschaftskraft Europas im globalen Wettbewerb.

Die Idee, Europa unabhängiger, strategisch weitsichtiger und wettbewerbsfähiger zu machen durch eine Industriepolitik, die stärker auf wissenschaftlicher Exzellenz basiert, ist grundsätzlich eine hervorragende. Doch im Moment gibt es immer noch einen Haken: Noch richtet der Gesetzesentwurf seinen Fokus eher auf die Chips-Produzenten als auf die Chips-Anwender. Und auch andere Industriebereiche, wie beispielsweise die Zulieferer, sind noch zu wenig im Blick.  Es bedarf also eines noch besseren Plans, der über den Halbleiter-Sektor hinausgeht und der gewährleistet, dass alle in Europa von dem Chips Act profitieren.

Der Autor: Dr. Christian Ehler

Dr. Christian Ehler. Foto: Ehler

Dr. Christian Ehler, seit 2004 MdEP, seit 2019 EVP-Koordinator im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE). Stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Kultur und Bildung (CULT). Mitglied der Delegation für die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und Stellvertreter in der Delegation für die Beziehungen zu Israel sowie der Delegation in der Parlamentarischen Versammlung der Union für den Mittelmeerraum.

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