Das ist der fünfte und letzte Beitrag der W+M-Serie Work + Life. Johannes Grassl, Experte und Berater rund um den Bereich Führung, widmet sich im aktuellen Beitrag dem Thema “Was bleibt unterm Strich?“
Wir verbrachten einen wunderschönen Ferientag am Meer. Mit meinen Kindern war ich damit beschäftigt, am Strand Sandburgen zu bauen. Es kostete uns ziemliche Mühe, die Türme und Mauern aufzurichten. Leider hielten unsere fragilen Kunstwerke immer nur für einen Augenblick. Kaum hatten wir unsere Burg fertig, kam die nächste größere Welle und spülte sie wieder weg. Am Ende des Tages blieb von unserer Arbeit nicht viel übrig.
Dieses Bild von den Sandburgen ist mir hängen geblieben. In unserem Leben ist es oft ähnlich. Wir bauen mit großer Mühe an unseren „Sandburgen“ – an der Karriere, der Firma, an materiellem Wohlstand. Alles Dinge, die zwar temporär Eindruck machen, aber auch schneller weggespült werden als man denkt. Was tun, wenn die nächste Welle kommt – vielleicht eine Entlassung, ein Aktiencrash oder eine gesundheitliche Krise? Wie gestalten wir unser Leben so und welches Fundament ist tragfähig genug, dass die Mühe unserer Arbeit dann nicht weggespült wird? Mit anderen Worten: Wofür lohnt es sich zu leben? Was bleibt unterm Strich?
Der Sinn des Lebens
In einem der bemerkenswertesten Vorträge, die an der Harvard Business School je gehalten wurden, sprach Management-Ikone Clayton M. Christensen nicht über Geschäftsmodelle oder Markttheorien, sondern über den Sinn des Lebens. Dabei nahm er seine Zuhörer hinein in eine der tiefsten Krisen seines Lebens und in die Erkenntnisse, die er darin gewann. Christensen wörtlich: „In diesem Jahr wurde bei mir eine Krebserkrankung diagnostiziert und ich rechnete damit, dass mein Leben vielleicht früher zu Ende sein würde als geplant… Aus dieser Erfahrung habe ich eine wichtige Erkenntnis über mein Leben gewonnen. Mir ist klar, dass ich den Firmen, die die Ergebnisse meiner Forschungsarbeit genutzt haben, mit meinen Ideen enorme Gewinne einbrachte; ich weiß also, dass ich in meinem Leben sehr viel bewegt habe. Doch als ich dieser Krankheit ins Auge sah, wurde das alles mit einem Schlag unwichtig. Ich habe begriffen, dass Gott mein Leben nicht nach Dollars bewerten wird; für ihn zählen nur die Menschen, deren Leben ich berührt und beeinflusst habe. Und ich glaube, dass gilt für uns alle. Machen Sie sich keine Sorgen darüber, wie bekannt oder berühmt Sie sind; denken Sie lieber an all die Leute, denen Sie dazu verholfen haben, bessere Menschen zu werden. Das ist die letzte Empfehlung, die ich Ihnen mit auf den Weg geben möchte: Halten Sie sich stets vor Augen, mit welchem Maß Ihr Leben eines Tages bewertet wird. Und dann nehmen Sie sich vor, jeden Tag so zu gestalten, dass Ihr Leben nach diesem Maß als Erfolg verbucht werden kann.“ [1]
Wir teilen alle das gleiche Schicksal.
Jeder von uns geht auf den Tag zu, an dem sein Leben zu Ende sein wird – und wir sind diesem Tag heute näher als gestern. Nach welchem Maßstab wird mein Leben dann bewertet werden? Wird das, was heute meine Zeit und Energie in Anspruch nimmt, dann genauso wichtig sein? Investiere ich mich neben all den operativen Aufgaben auch ausreichend in die wichtigsten Beziehungen meines Lebens? Wie der Bildhauer immer wieder einmal von seinem Kunstwerk zurücktreten muss, um das große Ganze in Augenschein zu nehmen – um sicher zu stellen, dass er noch richtig unterwegs ist mit dem, woran er täglich mühevoll arbeitet – so brauchen auch wir immer wieder einmal den Schritt heraus aus dem Hamsterrad des Alltags, um das große Ganze unseres Lebens in den Blick zu nehmen. Vom Ende her denken hilft uns, jetzt die Weichen richtig zu stellen.
Das eigene Leben auf den Prüfstand stellen, gilt für die operative Ebene des täglichen Handelns genauso wie für die strategische Ebene. Damit meine ich die großen Fragen nach dem Woher, Wohin und Warum. Woher komme ich? Wohin gehe ich? Warum bin ich überhaupt hier? Mit anderen Worten: Was ist mein „Reason of Existence“? Unsere Antwort darauf entscheidet letztendlich darüber, ob wir unser Leben und Wirken als sinnvoll empfinden. Ich weiß nicht, wie Sie diese Fragen beantworten, aber ich kann Ihnen sagen, welche Antwort mich überzeugt. Das christliche Menschenbild sagt, wir sind „Imago Dei“, im Abbild Gottes geschaffen. Daher kommen Wert und Würde des Menschen, das erklärt unsere Einzigartigkeit und unsere Fähigkeit zur Kreativität, Logik, Schönheit und Liebe. Es bedeutet aber noch mehr: Wir sind „von Gott her“ und „auf ihn hin“ geschaffen. Das gibt unserem Leben Ursprung und Ziel, Hoffnung und eine Perspektive für die Ewigkeit. Wir sind kein Zufallsprodukt, sondern eingebettet in einen größeren Kontext.
Zurück zu den Sandburgen:
Mein Eindruck ist, dass uns das Temporäre und Vergängliche nicht wirklich befriedigt. Irgendwie sind wir für mehr gemacht. Könnte es sein, dass diese „Sehnsucht nach dem Bleibenden“ mit unserem Ursprung zu tun hat? Wenn dem so ist, dann kann sie erst gestillt werden, wenn wir dort wieder ankommen, wo wir herkommen – bei dem, der uns geschaffen hat.
Der Autor:
Johannes Grassl ist CEO der Leaders‘ Integrity Foundation, Berater für Führungskräfte und Ermutiger aus Leidenschaft. Seit 20 Jahren ist er als Impulsgeber rund um Leadership, Selbstmanagement und erfolgreiche Karrieregestaltung im ganzen deutschsprachigen Raum aktiv. Mehr unter www.johannesgrassl.com und www.lif.ch
[1] Clayton M. Christensen, „Der Sinn des Lebens“, Harvard Business Manager Ausgabe Januar 2011