W+M sprach mit dem Minister für Wirtschaft, Infrastruktur, Tourismus und Arbeit Mecklenburg-Vorpommern Reinhard Meyer über die Wirtschaft nach der Coronakrise, die Auswirkungen des Ukrainekonfliktes, den Umbau der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität und welche Rolle das Land innerhalb Ostdeutschlands spielt.
W+M: Herr Minister, Sie hatten bereits zahlreiche Aufgaben mit Regierungsverantwortung und sind jetzt seit November 2021 Wirtschaftsminister. Was macht das Wirtschaftsministerium so interessant?
Reinhard Meyer: Ich bin jetzt bereits zum dritten Mal in diesem Haus. Ende 1994 habe ich schon als Büroleiter bei Harald Ringstorff gleich hier gegenübergesessen, dann bin ich Ende 2001 als Staatssekretär hierhergekommen und nun bin ich der neue Minister. Das Wirtschaftsministerium ist ein Haus, in dem man mit den Schwerpunkten für Arbeit, Infrastruktur, Tourismus, Mobilität sowie Energie und Landesentwicklung viel gestalten kann.
W+M: Der Zuschnitt des Ministeriums hat sich mit Ihrer Ernennung geändert. Ist die neue Kombination aus Wirtschaft, Infrastruktur, Tourismus und Arbeit eine Gute? Ist es kompliziert, Minister für Wirtschaft und Arbeit zugleich zu sein?
Reinhard Meyer: Nein, es passt sehr gut. Wenn wir mit Investoren sprechen, ging es früher vor allem um Fördersätze und Durchschnittslöhne. Heute geht es um die Verfügbarkeit von Fachkräften. Und deshalb ist es für mich eine logische Begründung, dass beide Ressorts zusammengehören. Die Verbindung von Wirtschaft und Arbeit liegt ebenso wie die zu Mobilität und Tourismus auf der Hand. Es ist ein beachtliches Verantwortungsfeld mit großer Breite, aber das eine hängt mit dem anderen auch eng zusammen.
Wirtschaft
W+M: Wie steht es um die Wirtschaft Mecklenburg-Vorpommerns im Jahr 2022? Wie sind die Unternehmen mit der Coronakrise klargekommen? Welche Auswirkungen hat der Krieg in der Ukraine?
Reinhard Meyer: All das, was wir gerade durch den Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine erleben, wird uns härter treffen, als das in der Coronakrise der Fall war. Wir stecken in einer Art Doppelkrise, auch bezüglich der Lieferketten, sind uns aber der Ausmaße noch nicht voll bewusst. Für uns in MV sind das viele Bereiche, die betroffen sind. Ich denke an die Ernährungswirtschaft, das verarbeitende Gewerbe, die Hafenwirtschaft, und den Verkehr. Wir sehen, viel mehr als gedacht die Abhängigkeiten von russischen Produkten. Die Abhängigkeit von der Gasversorgung ist sehr groß und erste Schritte, dies zu reduzieren, werden uns schwerfallen und Auswirkungen auf die Preise haben.
Bei Covid-19 haben wir in vielen Bereichen viele Zumutungen verteilt, das ist in einem Tourismusland wie MV nicht immer einfach gewesen. Für Corona gibt und gab es keine Blaupause, da haben wir alle am Anfang dazugelernt. Sicher haben wir da nicht immer das Richtige getan, waren nicht immer optimal aufgestellt. Gut waren in jedem Fall die Hilfen von Bund und Land. Bei den Überbrückungskrediten waren es allein 1,5 Milliarden Euro für Unternehmen in MV. Auch wenn Unternehmer sagen, dass sie lieber Wirtschaft gemacht hätten, glaube ich, dass an diesen Stellen der Staat schon sehr geholfen hat.
W+M: Wie stehe Sie zu einem sofortigen Importstopp für Gas?
Reinhard Meyer: Ein Importstopp würde uns in Deutschland so große Probleme bereiten, dass viele Unternehmen dies nicht überleben dürften. Ich weiß, dass die Bundesregierung alles dafür tut, um Alternativen wie LNG und anderes aufzutun, aber es wird seine Zeit brauchen, bis man unabhängiger sein wird. Die ersten Schritte haben bereits gefruchtet, der Importanteil bei Gas hat sich von 55 Prozent auf etwas über 40 Prozent reduziert, aber das sind die ersten 15 Prozent. Jetzt wird es schwieriger. Wir sind auf einen Gasstopp einfach nicht vorbereitet.
Das Ziel der Klimaneutralität und Unabhängigkeit von Energieimporten ist ein erreichbares Ziel, aber es erfordert noch viele technologische Lösungen, was gern in der Diskussion vergessen wird. Hier geht es um Speichertechnik, funktionierende Sektorenkopplung, Wasserstofftechnologien, die kompliziert und komplex sind. In der Regel rechnen sich diese Technologien auch nur über den Weg von Förderungen. Hier müssen die Diskussionen offener und auch ehrlicher geführt werden.
W+M: Ist das Image von Mecklenburg-Vorpommern aufgrund der besonderen Russlandorientierung angesichts der jüngsten Entwicklung angeschlagen?
Reinhard Meyer: Ich merke das weniger hier im Land. Das Verständnis für unsere Dialogbereitschaft und die regionalen Partnerschaften sind nach wie vor vorhanden. Bei Gesprächen in Berlin bemerke ich schon eine veränderte Einstellung zu MV, aber auch zu anderen Ländern im Osten.
W+M: Die Wirtschaft der Bundesrepublik steht vor einem gewaltigen Umbau der Wirtschaft in Sachen Klimaschutz? Wie ist MV darauf vorbereitet?
Reinhard Meyer: Wir werden ein eigenes Klimaschutzgesetz verabschieden, weil wir das, was auf Bundesebene erdacht wird vor Ort umsetzen müssen. Da bin ich schon bei einigen Themen sehr gespannt, wie wir die Probleme angehen, wenn wir die erneuerbaren Energien massiv ausbauen wollen. Mehr Windkraft auf See oder an Land, mehr PV-Anlagen und mehr Biomasse bekommen wir nur, wenn Genehmigungsverfahren erheblich beschleunigt werden können. Neben den technischen Voraussetzungen ist für die Akzeptanz für unser Tun entscheidend. Wir können das alles hinbekommen, aber wir müssen die Menschen mitnehmen. Die Zustimmung für den Ausbau der erneuerbaren Energien darf nicht dort enden, wo es konkret wird. Deshalb haben wir in unserem Koalitionsvertrag auch nicht das 2-Prozent-Ziel des Bundes explizit übernommen, sondern wollen realistisch wachsen. Aktuell haben 0,8 Prozent der Flächen in der Nutzung, d.h. wir brauchen mehr als eine Verdopplung von Windkraft und PV-Anlagen im Land. Das ist eine sehr große Herausforderung, die ohne Akzeptanz nicht zu schaffen ist. Die Kommunen vor Ort müssen einen Benefit erhalten. Als Vorreiter der Energiewende können sie nicht nur die Lasten tragen, sondern sie müssen auch an den Gewinnen der Windkraftanlagenbetreiber beteiligt oder steuerlich begünstigt werden, um in der Kommune zusätzlich investieren zu können. Und es kann auch nicht sein, dass die Kosten der Erzeugung vor Ort auf die Stromkosten aufgeschlagen werden. Das muss auf Bundesebene geändert werden.
W+M: Sind die bevorstehenden Veränderungen durch die Verwaltung überhaupt zu stemmen.
Reinhard Meyer: Die Verwaltung wird zwar häufig gescholten, ist aber nicht schuld. Mein Thema sind die Planung und Genehmigungsverfahren. Ein gutes Beispiel ist das Thema Bau des Fehmarn-Tunnels. Hier haben die Dänen es in kürzester Zeit geschafft, ihre Planungsaufgaben zu erledigen und auf deutscher Seite hängt das Projekt immer noch und wir sind gedanklich bereits jenseits des Jahres 2030. Vergleicht man etwas genauer, gab es auf dänischer Seite etwa 300 Einwendungen, die von einer Verwaltung, die sich von der deutschen wenig unterscheidet, abgewogen wurden. Auf deutscher Seite gab es aber 12.000 Einwendungen. Wir brauchen ähnliche Strukturen wie in Dänemark oder wie kurz nach der Wende, die zu wesentlich schnelleren Verfahren führen. Wir werden noch in diesem Jahr merken, ob wir den Verwaltungen die Instrumentarien in die Hand geben, die Genehmigungsverfahren in erforderlichem Maße zu beschleunigen.
W+M: Welche Leuchttürme der MV-Wirtschaft ragen heraus?
Reinhard Meyer: Wir sind stolz auf unsere „Hidden Champions“. Wir haben allerhand Unternehmen aus den Bereichen Gesundheitswirtschaft, die aus Universitäten entstanden sind. Wir haben Zulieferbetriebe für die Automobilbranche oder die im Netzwerk von Airbus sind. Wir haben die maritime Wirtschaft, nicht nur die MV-Werften. Richtig gut sind wir in der Ernährungswirtschaft.
W+M: Hätten Sie einige konkrete Beispiele?
Reinhard Meyer: Ich denke da beispielsweise an den Tiefkühlproduktehersteller Dr. Oetker in Wittenburg, das Kaffeekapselwerk Nestlé in Schwerin, Süßwarenhersteller Trolli in Hagenow. Genauso gehören der Drehteileproduzent PTS Precision Schwerin und der Standheizungshersteller Webasto Neubrandenburg aus dem Bereich der Zuliefererbetriebe für die Automobilindustrie dazu. Oder aus dem Netzwerk von Airbus gibt es die Flamm Mubea Schwerin. Das Unternehmen fertigt unter anderem Komponenten und Baugruppen für die Luftfahrt-, und Automobilindustrie. In unserer maritimen Wirtschaft außerhalb der Werften sind beispielsweise der Kranhersteller MCCtec Liebherr Rostock und der Metallverarbeitungsbetrieb Ostseestaal Stralsund zu nennen. Der bekannte Schuhhersteller Birkenstock plant sich in Pasewalk anzusiedeln.
W+M: Die aktuelle Werftenkrise ist nicht die erste ihrer Art. Ist die Branche angesichts Ihrer Anfälligkeiten eine Zukunftsbranche?
Reinhard Meyer: Ich glaube daran, dass es eine Zukunftsbranche ist, aber sie muss sich verändern. Früher dachten wir immer, dass es genügt, in Marktnischen zu gehen. Da haben wir Containerschiffe gebaut, dann kam der Spezialschiffbau und die Kreuzschifffahrt. Hier hat uns Corona voll getroffen und wir haben gemerkt, dass wir uns eine große Abhängigkeit von einzelnen Unternehmen begeben haben. Die Wirtschaft hat aber auch Lehren aus den Insolvenzen der P+S Werften 2012 gezogen, so dass die Zahl der Insolvenzen insgesamt abgenommen hat. Die maritimen Zuliefern haben sich unabhängiger von einzelnen Auftraggebern gemacht und das gibt mir Hoffnung.
Tourismus/Infrastruktur
W+M: Die Tourismusbranche ist für MV bedeutend. Welche Akzente wird die Branche mit dem Ausklang der Pandemie setzen? Wird die Ostsee zwangsläufig teurer?
Reinhard Meyer: Aus der Pandemie hat die Branche gelernt, dass es gute Arbeitsbedingungen für das Personal braucht. Gute Arbeit heißt am besten tarifgebundene Löhne, aber das reicht nicht aus, es geht um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und mehr. Es geht um die Frage, wie motiviere ich mein Personal. Die Arbeitszeiten in den Gaststätten und der Hotellerie wird man nicht ändern können, sie orientieren sich am Gast, aber entscheidend ist, wie ich meine Mitarbeiter halte und ans Unternehmen binde. Das Fachkräftethema ist elementar. Viele Gastronomen beklagten die Abwanderung durch Corona, wir aber wissen, dass dieser Prozess bereits vor der Pandemie einsetzte. Deshalb glaube ich, dass nur Unternehmen, die sich auf ihre Beschäftigten einlassen zu den Gewinnern des Strukturwandels gehören.
Es geht jetzt auch um die Definition von Qualität. Das immer höher, schneller und mehr Übernachtungen, dieses Denken kommt an seine qualitativen Grenzen. Hier ist auch viel Innovation gefragt, denn die Kundenwünsche werden immer individueller. Und es geht nicht immer nur um die Ostsee, wie haben auch im Binnenland viel zu Entdecken und alles muss in unterschiedlichen Preissegmenten verfügbar sein.
W+M: Hat die Insel Usedom absehbar eine Chance auf bessere Erreichbarkeit?
Reinhard Meyer: Wir sind durch die zwei Straßenanbindungen limitiert, da kann man nur punktuell etwas verbessern durch Ortsumgehungen und ähnlichem. Die Karniner Brücke für eine bessere Bahnanbindung ist für uns kein Hirngespinst, denn es gab sie ja schon. Wenn wir diese Anbindung bekämen, wäre das ein großer Gewinn für die Insel und eine große Motivation vom Auto auf die Bahn umzusteigen. Aber bis dahin haben wir diese Probleme.
Ostdeutschland
W+M: Der Wirtschaftsraum Ost nimmt eine beachtliche Entwicklung hinsichtlich Zukunftstechnologien, welche Rolle spielt MV innerhalb des Wirtschaftsraumes?
Reinhard Meyer: Mecklenburg-Vorpommern hat eine ostdeutsche Seele, aber viele Interessen sind norddeutsch. An der Küste ist man etwas norddeutscher. Wenn ich meine Erfahrungen aus Schleswig-Holstein mit denen aus MV abgleiche, fällt mir der Spruch ein, dass in MV die Lage besser ist als die Stimmung und in Schleswig-Holstein ist es umgekehrt.
Innerhalb Ostdeutschlands sind wir in MV nach wie vor das Tor zur Welt mit großen Chancen im Bereich der erneuerbaren Energien. Wir dürfen dabei nicht nur über Wasserstoff reden, sondern müssen konkrete Projekte entwickeln, um zu zeigen, wie es geht. Energieintensive Unternehmen gehen immer dorthin, wo Energie erzeugt wird und diese Energie muss grün sein. Mecklenburg-Vorpommern bietet dafür beste Standortbedingungen.
Zahlen und Daten zu MV
Anzahl der Unternehmen: 61.865 (Stand Ende 2019; Die Zahl der Betriebe – Niederlassungen – belief sich Ende 2019 auf 69.771) – Quelle Statistisches Amt
Top-Branchen und Beschäftigte:
Mecklenburg-Vorpommern ist ein vielseitiger Wirtschaftsstandort. Hier hat sich neben den traditionell sehr starken Wirtschaftsbereichen Tourismus und Ernährungswirtschaft auch die Gesundheitswirtschaft etabliert. Einen wesentlichen Anteil an der wirtschaftlichen Entwicklung in unserem Land haben auch das Handwerk und das Verarbeitenden Gewerbe.
Im Jahr 2021 arbeiteten 577.776 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Mecklenburg-Vorpommern. In Mecklenburg-Vorpommern bilden die kleinen und mittleren Unternehmen das Rückgrat der Wirtschaft, denn 99,5 % aller Unternehmen gehören quantitativ zum Mittelstand und sind Arbeitgeber für 79,4 % aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.
In der Darstellung der Branchenstruktur nach den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten liegt der Schwerpunkt bei den Unternehmen im Gesundheits- und Sozialwesen (19,8 %), im Handel (12,5 %), im Verarbeitenden Gewerbe (12,0 %) und in der Bauwirtschaft (7,5 %). Danach folgen die Unternehmen des Bereiches der sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen (7,7 %) und das Gastgewerbe (6,2 %). (Quelle: Statistisches Amt M-V – sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mit Arbeitsort in M-V, Stand: 30.06.2021 vom 02.02.2022)
BIP pro Kopf: 28.590 € (Stand: 2020) – Quelle: Arbeitskreis „Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder, Stand März 2021)
Exportrate: 18,6 % (Stand 2020)
Arbeitslosenquote: 7,3 %
Bruttoinlandsprodukt stieg in Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2021 preisbereinigt um 1,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr an, (Quelle: Statistisches Amt)
Interview: Frank Nehring