Zinsen, Zombies, Insolvenzen

Die ökonomische Welt ist aus ihrer gewohnten Ordnung geraten: Das allgemeine Zinsniveau bewegt sich seit geraumer Zeit in der Nähe von Null. Faktisch ist der Zins fast abgeschafft. In der Folge müsste die Inflation eigentlich stark steigen oder galoppieren. Sie tut es aber nicht, wenn von einer aktuellen kurzfristig anderen Entwicklung – die aller Voraussicht nach nur eine Gegenbewegung zur einigen coronabedingten Besonderheiten ist – einmal abgesehen wird. Von Prof. Dr. Florian Stapper.

Das Ziel der Notenbanken, durch Zinspolitik eine Inflation von um die 2 Prozent p.a. zu erreichen, wird – auf längere Sicht – seit Jahren verfehlt und das bei einem Zins nahe 0 Prozent. Gleichzeitig „brummt“ auch noch die Konjunktur. Arbeitskräfte und Material sind Mangelware und viele arbeiten und produzieren an der Kapazitätsgrenze. Historische Vergleiche gibt es nicht und Ökonomen rätseln, wie dieses Phänomen erklärt werden kann.

Folge der „Null-Zins-Politik“ ist auch eine mehrfache „Zombifizierung der Wirtschaft“. Da der Zins nur noch auf dem Papier steht, reicht es, außerordentlich geringe Margen zu erzielen, um noch einen Gewinn zu erwirtschaften. Das lähmt die Produktivität und führt zu Ineffizienzen, denn, ist der Zins, der für eine Investition erwirtschaftet werden muss, höher, ist auch der Druck größer, durch Innovationen, neue Entwicklungen, Erfindungen und effizientes Wirtschaften etwas zu verdienen. Null-Zins-Politik fördert so auch die Verschwendung – auch zulasten der Umwelt.

Bei faktisch abgeschafften oder sogar negativen Zinsen steigen solche Vermögensgegenstände potentiell im Wert, die noch eine Verzinsung abwerfen. Das sind insbesondere fremdvermietete Immobilien und Aktien. Wer Geld hat, könnte daher dazu neigen, die Arbeit einzustellen oder zu reduzieren und sein Geld in Aktien oder fremdvermietete Immobilien (am besten mit möglichst geringem Eigenkapital und möglichst hoher Fremdfinanzierung, die fast umsonst ist) zu investieren und von der Wertsteigerung zu leben. Zocken kann so lukrativer sein als zu arbeiten.

Die Zahl der Insolvenzen ist seit Jahren rückläufig, zunächst auf Grund der jahrelangen guten Konjunktur, dann wegen der Corona-Pandemie und schließlich auf Grund einer mehrfachen Zombifizierung der Wirtschaft. Sollte der Zins irgendwann einmal wieder steigen, dürfte sich der Trend umkehren. Wenig innovative und kaum effektive Unternehmen verlieren dann ihre Daseinsberechtigung und sind insolvenzgefährdet. Wer die Arbeit zu Gunsten der Spekulation eingestellt hatte, wird sich wieder einen Job suchen müssen und wer zu stark der Wertsteigerung hinterhergelaufen ist, muss sich mit fallenden Preisen und in der Folge einer Insolvenzgefahr beschäftigen.

Die Notenbanken, die ja eigentlich unabhängig sein sollen, haben ein Problem: Steigende Zinsen erhöhen die Kosten der Staatsverschuldung, haben Kreditausfälle von Staaten zur Folge und gefährden so das ohnehin wacklige System der weltweiten Finanzierung. Insofern wird eine Erhöhung der Zinsen mit mehreren Mitteln auf die möglichst lange Bank geschoben: Zunächst wird versucht, zu begründen, dass ein Anstieg der Inflation über das gewünschte Ziel von 2 % hinaus nicht unbedingt zu höheren Zinsen führen müsste, denn, wenn die Inflation lange Zeit zu niedrig war, kann sie auch eine Zeit lang zu hoch sein, ohne an der Zinsschraube drehen zu müssen. Eine anziehende Inflation soll so – zumindest für eine längere Zeit – keine Zinserhöhung rechtfertigen. Die Notenbanken haben sich dieser Überlegung – zumindest im Ergebnis – angeschlossen und haben ihre Strategie geändert. Während früher auf eine steigende Inflation mit steigenden Zinsen reagiert wurde, soll jetzt verstärkt auf die langfristige durchschnittliche Inflation gesehen werden. Insofern kann die Preissteigerung, die lange Zeit zu niedrig war, einen ähnlichen Zeitraum auch zu hoch sein, ohne dass sich das Zinsniveau ändern soll. Die Staatsfinanzen werden es danken und der Trend vieler Staaten, die Staatsverschuldung auch jetzt noch auszuweiten, wird gefördert.

Die Entwicklung, durch eine Null-Zins-Politik die Innovationskraft zu gefährden und eine mehrfache Zombifizierung der Wirtschaft zu fördern, so aber die Staatsverschuldung zu retten, dürfte anhalten. Bricht der Trend, etwa weil das ungezähmte Gespenst der Inflation nicht mehr zu bändigen ist, kommt wieder die Zeit der Insolvenzen. Bis dahin genießt die Branche der Sanierer und Insolvenzverwalter die Ruhe vor dem Sturm.

 

Prof. Dr. Florian Sapper

Der Autor: Prof. Dr. Florian Stapper, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Fachanwalt für Steuerrecht

Die Erstveröffentlichung des Beitrages erfolgte im EXIS|TENZ MAGAZIN.