Freitag, März 29, 2024

ORAFOL-Chef Holger Loclair: „Wir waren immer Optimisten.“

Holger Loclair gehört zu den erfolgreichsten Unternehmern in Ostdeutschland. Im W+M-Interview spricht der Chef der ORAFOL- Gruppe über das bewegende Jahr 89, seine Haltung zu Nachhaltigkeit und Wachstum sowie über die Zukunft des Familienunternehmens.

Der Konferenzraum in der oberen Etage des ORAFOL Stammsitzes bietet einen weiten Blick über das Firmengelände. Ruhe und Ordnung rahmen das Bild mit langen Produktionshallen inmitten gepflegten Grüns. Holger Loclair erscheint pünktlich und begrüßt entgegenkommend mit verbindlichem Händedruck. Der promovierte Chemiker gehört nicht nur zu den einflussreichsten Köpfen seiner Branche, er ist auch ein Familienunternehmer der sprichwörtlichen „alten Schule“.
Mit einem Gespür für den Moment und Willensstärke hat Holger Loclair den Betrieb, in dem er 1977 seine Laufbahn startete, erst gerettet und dann zu einer internationalen Firmengruppe auf Top-Niveau entwickelt. Der Marktführer in der Veredlung von Kunststoffen erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2020 einen konsolidierten Umsatz von 630 Millionen Euro mit 2.500 Mitarbeitern.

W+M: ORAFOL zählt zu den wachstumsstärksten Mittelständlern in Deutschland. Blickt man auf die bewegten Anfänge ihres Unternehmens, dann ist das Stoff, aus dem Träume sind. Worauf gründet sich die eindrucksvolle Entwicklung der ORAFOL nach dem Neuanfang im Jahr 1990?

Dr. Holger Loclair. Foto: W+M

Holger Loclair: Wir stellen uns das Unmögliche vor und das machen wir dann. Lange bevor die Mauer fiel, hatten wir gelernt mit außerordentlichen Umständen umzugehen. Der VEB Spezialfarben Oranienburg produzierte keine Materialien oder Güter von besonderer Bedeutung für die DDR. Heute würde man sagen: Wir waren nicht systemrelevant. Wir mussten uns also allerhand einfallen lassen, um wirtschaften und entwickeln zu können.

W+M: War es für das Unternehmen ein Vorteil, dass Sie Naturwissenschaftler sind?

Holger Loclair: Ja. Unbedingt. Wir mussten damals von morgens bis abends improvisieren. Ein Finanzexperte als Unternehmenslenker hätte auf verlorenem Posten gekämpft. Ohne Technologieverständnis ging es nicht. Und geht es auch heute nicht. Für ORAFOL kommt nichts anderes in Frage.

„Ich habe auch schon zu DDR-Zeiten so gehandelt, als wäre es mein Unternehmen.“

W+M:  Das allein reichte aber nicht für den Sprung in die Marktwirtschaft?

Holger Loclair: Nein. Das ist völlig richtig. Entscheidend war am Anfang der pragmatische Ansatz und wir waren immer Optimisten. Wir konnten anfänglich keinen Kunden finden, der bereit war, ein ORAFOL-Produkt zu vertreiben. Das war leider so. Wir sind dann schnell darauf gekommen für andere Firmen, mit deren Markennamen zu produzieren. So haben wir Geld verdient und Geld brauchten wir zum Überleben. Koketterie hat uns nie im Weg gestanden.

„In den ersten Jahren des Neuanfangs war jede Entscheidung richtig und hat gesessen.“

W+M: Heute sind die Dachmarke ORAFOL und die zahlreichen Produktmarken bekannt, bei graphischen Anwendungen sind Sie Marktführer. Wann oder wie kam der Durchbruch?

Holger Loclair: Das ist ganz einfach: Die ORAFOL war und ist forschungsseitig und verfahrenstechnisch getrieben. Im Markt wurde allmählich bekannt, wer der eigentliche Produzent der graphischen Folien ist. Die Händler sind immer wieder zurückgekommen nach Oranienburg. Die Qualität hat einfach gestimmt. Und so ist dann der Wunsch nach einer Marke „ORAFOL“ entstanden.

ORAFOL Produktion. Foto ORAFOL

W+M: Das wettbewerbsfähige Produkt gab es also schon, aber es fehlte noch die Reputation?

Holger Loclair: Ja. Es ging zuerst einmal darum, Vertrauen zu gewinnen. Die Händler begannen sich nach und nach für uns zu interessieren und zeigten sich dann auch mit uns.

W+M: Wie sieht Ihre Geschäftsstrategie heute aus?

Holger Loclair: Die ist im Grunde die gleiche geblieben: Entwickeln, Umsetzen und in eine innovative Verfahrenstechnik investieren. Dazu haben wir in den letzten Jahren viele Akquisitionen durchgeführt. Unsere Präsenz auf dem Markt zu erhöhen, ist dabei nicht das primäre Anliegen. Hinter diesen Unternehmen verbirgt sich Know-how, das unser Unternehmen weiterbringt. Unsere Akquisitionen stehen in Zusammenhang mit Technologien, in denen wir uns bereits bewegt haben, bei denen wir aber erkannt haben, dass wir einen hohe Entwicklungsgeschwindigkeit an den Tag legen müssen, um das Feld in diesem Bereich zu führen.

„Jede Integration eines Technologieträgers ist wie ein Katalysator für ORAFOL.“

W+M: Spielen die Erfahrungen aus der Wendezeit 1989/90 auch heute noch für Sie eine Rolle?

Holger Loclair:  Ja. Wir haben erlebt, wie wichtig es ist, schnell zu schalten – schnell zu verstehen und dementsprechend zu handeln. Tempo ist für mich immer entscheidend, neben der bereits beschriebenen Technologiegetriebenheit.

W+M: Ist das generell Ihr persönlicher Anspruch?

Holger Loclair: Ja. Genauso ist es. Ich bin der Meinung, dass sich ohne den Anspruch, ganz vorn mitspielen zu wollen, keine Marktführerschaft erreichen lässt. Und so sind dann immer die Entscheidungen gefallen. Ein Beispiel, ein für uns ganz wichtiger Schritt, war die Akquisition der amerikanischen Reflexite Corporation mit ihren weltweiten Töchtern, im Sommer 2011. Das war eine enorme Beschleunigung für uns. Wir haben eine Technologie eingekauft, die wir in einem gewissen Teil verstanden, hatten aber den Anspruch, sie schnell in der gesamten Breite zu beherrschen. Damit konnten wir uns am Stammsitz im Bereich der reflektierenden Materialien weiterentwickeln. Wir waren danach sofort in der Lage, das Geschäft unserer Töchter und natürlich auch das Händlersystem im Bereich Reflective Solutions deutlich auszubauen.

ORAFOL Produktion. Foto ORAFOL

W+M: Aktuell belasten Lieferengpässe die Hersteller in Deutschland und der Eurozone. Viele Firmen blicken skeptisch nach vorn. Was empfinden Sie als Unternehmer in Zeiten wie diesen?

Holger Loclair: Investitionszurückhaltung ist für uns keine Option. Für dieses und die kommenden zwei Jahre haben wir einen Investitionsplan von insgesamt 150 Millionen Euro aufgesetzt. Erst im Frühjahr 2021 haben wir eine Technologie in die Gruppe integriert, die langfristig gesehen einen ungemein hohen Stellenwert für uns hat. Die NUPRO Advanced TPU Films ist ein ORAFOL Unternehmen, das thermoplastische Polyurethanfolien herstellt. Diese Technologie ist nicht nur für die Automobilindustrie, im Bereich Luftfahrt oder im graphischen Sektor bedeutend, sondern sie wird in ganz breitem Maße auch Produkte aus PVC ersetzen. Und da wollen wir mitmachen. Mit den genannten Beispielen haben wir unsere Fertigungstiefe immer weiter vergrößert und den Einfluss auf die Zwischenprodukte, die wir zwingend brauchen, gesichert. Das erst hat uns krisenfester gemacht. Ohne unsere strategischen Investitionen – angefangen mit der genannten im Jahr 2011 – hätte die ORAFOL die zuletzt gravierenden globalen Ereignisse kaum bestehen können.

„Als Familienunternehmen ist uns die Bewertung, der Nachhaltigkeit unserer Entscheidungen, immer sehr wichtig.“

W+M: Wie steht es bei ORAFOL um das Thema Nachhaltigkeit?

Holger Loclair: Als Familienunternehmen ist uns die Bewertung, der Nachhaltigkeit unserer Entscheidungen, immer sehr wichtig. Wir folgen nicht jedem Trend. Aber was wir machen, machen wir richtig. Für die TPU-Folien belassen wir es ja nicht bei dem jetzt bestehenden Werk in Amerika. Wir werden schon im kommenden Frühjahr die Produktion vor Ort in Massachusetts ausbauen und mit dem Wissen, das wir dort aktuell gewinnen, ein Extruder-Werk hier in Oranienburg planen.

W+M: Die Ziele im Bereich Klimaschutz werden aktuell hochgesteckt. Was erwarten Sie von der neuen Regierung?

Holger Loclair: Wir treiben unsere Agenda unabhängig und orientiert an unseren Märkten voran. Auch das ist etwas, das wir früh gelernt haben. Wenn wir noch einmal zurückgehen zu den Anfängen: Unser Werk war nach der Wende technisch veraltet und musste 1994 für neue umweltschutzrechtliche Anforderungen fit gemacht werden. Das war damals zwingend mit einer Standortverlagerung verbunden – ein Kraftakt, bei dem wir nicht auf Hilfe bauen konnten. Ich möchte damit zeigen, dass wir schon immer Teil einer Branche sind, in der die Energieaufwände und die entsprechende Regulatorik hoch sind. ORAFOL ist also traditionell stark in diese Themen involviert.

W+M: Wo stehen Sie denn aktuell?

Holger Loclair: Wir planen, in deutlich weniger als zehn Jahren CO2-neutral zu produzieren. Wir bauen darauf, dass die politischen Rahmenbedingen dafür schnell so geschaffen werden, dass wir uns in den kommenden Jahren nicht ausschließlich mit uns selbst beschäftigen müssen. Wir arbeiten sehr hartnäckig daran, um das auch für uns im Verkauf nutzen zu können. Das ist klar. Die Störunanfälligkeit unserer Produktion steht natürlich auch immer im Fokus.

W+M: Und darüber hinaus? Gibt es Impulse, die Sie als Unternehmer von der neuen Regierung erwarten?

Holger Loclair: Zunächst einmal erhoffe ich mir einen reflektierten Diskurs. Der wird meines Erachtens zu negativ geführt. Das Bild auf das Unternehmertum im Allgemeinen ist in eine Schieflage geraten. Es hat nicht den Anschein, dass der absolute Beitrag, den Unternehmer zum Allgemeinwohl beitragen, angemessene Wertschätzung erfährt. Gerade in einer Zeit, in der uns der Mangel an Fachkräften aller Orten fordert, braucht es einen positiven Blick auf die Wirtschaft und auf Industrieunternehmen im Besonderen.

Dr. Holger Loclair und W+M-Chefredakteur Frank Nehring. Foto W+M

Interview: Frank Nehring

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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