Mittwoch, April 24, 2024

Messen der Zukunft: Die Rückkehr der Präsenzmessen

Für den deutschen Messeverband AUMA steht fest: „Die Messewirtschaft in Deutschland und weltweit hat 2020 das bisher schlimmste Jahr seit Ende des 2. Weltkriegs erlebt.“ Zeitweilig stand gar das Konzept der Präsenzmesse gänzlich in Frage. Doch nach einem Jahr mit digitalen Alternativen sehnen sich die ostdeutschen Messeveranstalter nach der Rückkehr der klassischen Präsenzmesse. Von Matthias Salm

Kaum eine Branche hat die Corona-Pandemie neben der Gastronomie und der Veranstaltungsbranche so sehr getroffen wie das Messewesen. Und damit auch einen wesentlichen ostdeutschen Wirtschaftsfaktor an prominenten Messestandorten wie Leipzig oder Berlin. Die Leipziger Messe etwa organisiert übers Jahr gesehen rund 280 Messen und Ausstellungen, Kongresse und Veranstaltungen. Die Unternehmensgruppe der Leipziger Messe ist damit ein bedeutender Umsatzbringer für die Region. 1,3 Millionen Besucher der Leipziger Messe tragen zu 656 Millionen Euro Umsatz bei. Rund 6.600 Arbeitsplätze sind direkt oder indirekt an die Messetätigkeit geknüpft. Vom traditionsreichen Messegeschäft in der Handelsmetropole Leipzig profitieren Hotellerie und Gastronomie, die Messebauer, Einzelhandel oder das Taxigewerbe gleichermaßen.

Foto: Messe Berlin

Auch die Messe Berlin, die zu den zehn umsatz- und wachstumsstärksten Messegesellschaften weltweit zählt, musste 2020 historische Einbußen hinnehmen. 2018, vor dem Ausbruch der Pandemie, hatte die Berliner Messe noch einen zweistelligen Zuwachs beim Umsatz gefeiert. In jenem Jahr besuchten mehr als 2,5 Millionen Besucher über 120 Eigen- und Gastveranstaltungen unter dem Berliner Funkturm. Rund 40.000 Unternehmen und Institutionen aus über 180 Ländern präsentierten sich dem Fachpublikum und den Berliner Besuchern.

Nach Schätzungen der Investitionsbank Berlin sorgen die auswärtigen Besucher und Aussteller für einen Kaufkraftzufluss von über 1,7 Milliarden Euro für die Berliner Wirtschaft. Und die Messe ist beliebt bei den Hauptstadtbewohnern und genießt als Branche einen guten Ruf an der Spree. Neun von zehn Berlinern und Berlinerinnen kennen laut einer Umfrage der Messegesellschaft die Messe Berlin. Ganz vorne unter den Messeangeboten liegen dabei in der gestützten Abfrage der einzelnen Messen die IFA mit 86 Prozent, gefolgt von der Grünen Woche mit 82 Prozent und der ITB Berlin mit 80 Prozent.

Schmerzhafter Einbruch in der Pandemie

Umso schmerzhafter der Einbruch im Pandemiejahr 2020. In Leipzig konnten nur 119 Veranstaltungen durchgeführt werden. Mit digitalen und hybriden Formaten, digitalen Showrooms und Livestreams versuchten die Sachsen, das Messetreiben wenigstens virtuell aufrechtzuerhalten. Die alternativ gestarteten Möglichkeiten, um im Austausch mit den Kunden zu bleiben und neue Geschäftsabschlüsse zu tätigen, wurden von den Unternehmen zwar genutzt, aber nicht unbedingt geliebt. Das Interesse an Präsenzformaten blieb signifikant. In einer Umfrage des Branchenverbands AUMA zu den Folgen der Messeabsagen beklagten beispielsweise 84 Prozent der befragten Unternehmen das fehlende Networking auf den Messen als empfundenen Mangel während der Coronakrise. 76 Prozent nannten die fehlende Kundengewinnung. 60 Prozent vermissten reale Produktpräsentationen.

Zukünftig werden digitale Veranstaltungsformate daher zwar Präsenzformate ergänzen, diese aber nicht gänzlich ersetzen können, resümieren die Verantwortlichen der Leipziger Messe ihre Erfahrungen aus dem Pandemiejahr 2020. Martin Buhl-Wagner, Geschäftsführer und Sprecher der Leipziger Messe, formuliert die Erkenntnisse so:„Das Jahr 2020 hat unser Bewusstsein für den Kern unseres Geschäftes geschärft: Wir schaffen die professionelle Plattform für das Zusammentreffen von Menschen und den Rahmen für wissenschaftliche, wirtschaftliche oder gesellschaftliche Diskurse.“

Der persönliche Austausch bleibt unverzichtbar

Martin Buhl-Wagner Foto: Leipziger Messe

Messechef Buhl-Wagner ist sich sicher: „Die Pandemie zeigt uns, wie essentiell der persönliche Austausch bleibt, denn der Mensch ist als soziales Wesen nicht ausschließlich für digitale Kommunikation gemacht. Nur live vor Ort bietet sich die überraschende Begegnung oder das unerwartete Erlebnis.“ Hybride und digitale Formate haben so zwar ihre Existenzberechtigung, sollen aber nur als Zusatzangebote zu den Präsenzveranstaltungen ins Programm aufgenommen werden. „Als Orte des persönlichen Austauschs, der Diskussion und des Fortschritts werden Messen und Kongresse auch in Zukunft eine wesentliche Rolle spielen. Alle technologischen Innovationen unterstützen dieses Ziel“,  resümiert Buhl-Wagner. Wie das aussehen könnte? Präsenz-Messen und Kongresse werden künftig mit einer Vielzahl digitaler Komponenten durchgeführt. Die Leipziger Messe verfügt zum Beispiel über Veranstaltungs-Apps oder ein topmodernes Ticketingsystem, das dafür adaptiert werden kann.

Kleinere Messeveranstalter wie die HALLE MESSE GmbH verzichteten gleich gänzlich auf Online- und Hybridformate. „Präsenzmessen fehlen den Unternehmen im Marketingmix. Besonders deutlich aber ist der Bedarf nach Karrieremessen – die Unternehmen suchen händeringend Azubis und Fachkräfte, gerade dort wird der direkte und persönliche Kontakt, den das Format Messe bietet, schmerzlich vermisst“, erklärt Sarah Burkhardt, Pressesprecherin der Halle Messe GmbH und fügt an. „Die Wirtschaft braucht Messen als Plattform und Impulsgeber. Produkte zum Anfassen, Präsentation von Innovationen und persönliche vertrauensbildende Kontakte im direkten Wettbewerb gibt es nur hier.“ Ihr Fazit aus den coronabedingten Messeabsagen: „Ohne Messen fehlt der direkte Erfahrungsaustausch innerhalb der Branche. Vieles lässt sich nicht adäquat digitalisieren, Präsenzveranstaltungen sind nicht zu ersetzen.“

Auch die Wirtschaft hofft auf ein schnelles Comeback

Ähnlich sieht es die Wirtschaft. Thomas Horn, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Sachsen GmbH (WFS), etwa stellt fest: „Nachdem das traditionelle Messegeschäft seit über einem Jahr coronabedingt kaum oder nur sehr eingeschränkt möglich war, ist das Interesse der Unternehmen an Messeteilnahmen wieder sehr groß. Insofern sind wir optimistisch, dass der Neustart für das Messegeschäft gelingt.“ Eine Umfrage der WFS in der sächsischen Unternehmerschaft belegt, dass für die Firmen Messen weiterhin ein wichtiger Baustein ihrer Kundenakquise sind. Rein virtuelle Formate seien dagegen vor allem als Ergänzung zu Präsenzveranstaltungen nützlich, beispielsweise in der Vor- oder Nachbereitung. Hier werden virtuelle Abstimmungen künftig oftmals Vor-Ort-Termine ersetzen. Die sächsischen Wirtschaftsförderer erinnern allerdings auch daran, dass die Zunahme an digitalen Angeboten auch eine entsprechende Infrastruktur, wie zum Beispiel eine leistungsfähige Internetanbindung, benötigt.

Sachsen unterstützt Messeauftritte

Der Freistaat will das Messewesen im kommenden Jahr jedenfalls kräftig unterstützen. Die WFS wird 2022 15 ‚Sachsen-live‘ Gemeinschaftsstände im Auftrag des Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr sowie sieben Gemeinschaftsbeteiligungen für die Ernährungswirtschaft im Auftrag des Sächsischen Staatsministeriums für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft organisieren.

»Für die Betriebe der Ernährungswirtschaft sind Messen und Ausstellungen ideal, um Handel sowie Verbraucherinnen und Verbraucher von der Qualität sächsischer Erzeugnisse zu überzeugen und neue Absatzmärkte zu erschließen“, hebt der sächsische Vize-Ministerpräsident und Landwirtschaftsminister Wolfram Günther hervor. Messen bestärken auch Trends und liefern Informations- und Anschauungsmaterial zu einzelnen Branchen. Sachsen Landwirtschaftsminister Wolfram Günther nennt die großen Fachmessen der Ernährungswirtschaft als Beispiel: „Immer mehr Menschen legen Wert auf regional und ökologisch erzeugte Nahrungsmittel. Auf der Grünen Woche, bei der Biofach, der agra und den vielen übrigen Messen können sie erfahren, wie und wo ihre Lebensmittel produziert werden und sich gleichzeitig darüber informieren, welche Vorteile regionale Wertschöpfung für Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft haben.“

Auch die Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen LEG erklärt auf W+M-Anfrage: „ Messen sind nicht pandemiekompatibel und virtuell nur schwer zu „simulieren“. Eine Messe ist auf den Besuch und den Austausch einer möglichst großen Gruppe von Interessenten und Fachpublikum und vor allem deren (auch zufälligen) persönlichen Austausch vor Ort angelegt. Virtualisierungen sind aus unserer Sicht technisch (noch) nicht weit genug, um ein authentisches Messegefühl zu vermitteln.“

Als Präsentationsstandorte für Wirtschaftsregionen sind aus Sicht der LEG Messen nur dann attraktiv, wenn entweder ein möglichst großer Kundenkreis oder ein sehr kleiner Kreis an wirklich Investitionsinteressierten adressiert werden kann. Für beides muss ein persönlicher Austausch am Stand möglich sein. Eine komplett virtualisierte Standortpräsentation ist wenig originell, wenn sie nicht durch Menschen und deren Überzeugungskraft unterlegt und kommentiert werden kann, so die LEG. Zudem präsentierten sich die Wirtschaftsregionen dort oft als „Dach“ eines Gemeinschaftsstandes und verbinden mit der Qualität der präsentierten Unternehmen gleichsam den Wirtschaftsstandort. Diese Synergie sei noch schwerer zu virtualisieren.

Ostdeutsche Messehighlights im Frühjahr

Noch sind die coronabedingten Einschränkungen des Messegeschäfts längst nicht ausgestanden. Obwohl etwa im September seitens der Hansemesse in Rostock bereits Messen durchgeführt werden konnten, fiel die Messe „Spielidee“ Ende Oktober den Corona-Regeln zum Opfer. Die Messe lebe von Menschen, Familien und Freunden, die an einem Tisch spielen, basteln und kreativ sind und einen gemeinsamen Tag verbringen. Die Einhaltung des Mindestabstands sei dabei nicht möglich, gaben die Rostocker Messeveranstalter zur Begründung an.

Foto: Messe Leipzig

Dennoch hoffen die ostdeutschen Messegesellschaften auf die Rückkehr zu einem normalen Geschäft im Herbst/Frühjahr 2021/22. Mit der „Viszeralmedizin“ fand in Leipzig im September erstmals wieder eine große Tagung im Congress Center Leipzig (CCL) mit über 4.000 Besucherinnen und Besuchern sowie rund 100 Ausstellern statt.  Zu den Leipziger Messe-Hoffnungen für die kommenden Monate zählen die ISS GUT! (7. bis 9. November), die azubi- & studientage Leipzig (5. und 6. November) und die Touristik & Caravaning (17. bis 21. November).

Das Veranstaltungsportfolio für die kommenden Jahre konnte zudem ausgebaut werden. Erstmals wird die Zahntechnik plus durchgeführt (25. und 26. März 2022). Zudem hat die Leipziger Messe die internationale Fachmesse PaintExpo für industrielle Lackiertechnik (26. bis 29. April 2022 in Karlsruhe) übernommen. Die Leipziger Messe wird außerdem Standort des International Broadcast Centre (IBC) für die UEFA EURO 2024.

In Berlin steht bis zum Jahresende die Boots- und Freizeitmesse BOOT & FUN Berlin vom 11. bis 14. November auf dem Programm. Eine besondere Herausforderung für die Berliner wird die Durchführung der weltweit größten Touristikmesse, der ITB, im Frühjahr 2022. Sie ist für den März als analoge Neuauflage geplant – gleichzeitig ergänzt um eine digitale Komponente. Im Zentrum steht die offizielle Partner-Destination Sachsen. Sowohl Aussteller, Fachbesucher und Medien als auch privates Besucherpublikum sollen sich dann wieder in den Messehallen im Berliner Westen einfinden.

Foto: Messe Berlin GmbH

„Mit ITB Berlin NOW konnten wir der Branche im Frühjahr 2021 zwar ein sehr differenziertes Alternativformat zur Überbrückung bieten“, sagt David Ruetz, Head of ITB Berlin. „Gleichzeitig mussten wir jedoch alle feststellen, dass bekanntlich nichts über die persönliche Begegnung geht. Mit digitalen Erweiterungen wie Streamings und den Digital Business Days werden wir die Messe auf ein neues Level heben, indem wir die besten Elemente aus analoger und digitaler Welt miteinander verbinden.“ Zur letzten regulären ITB 2019 hatten sich rund 10.000 Aussteller aus 181 Ländern eingefunden und ihre Reisedestinationen rund 160.000 Besuchern vorgestellt.

In Halle (Saale) setzen die Messeveranstalter ihre Hoffnungen in die Frühjahrssaison. Sie startet mit der „Chance“, der größten Bildungs-, Job- und Gründermesse in Sachsen-Anhalt (14. und 15. Januar). Die regionale Baumesse SaaleBAU mit GartenIDEEN findet vom 25. bis 27 März statt. Die nächste SaaleMesse ist für den November 2022 anvisiert.

 

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