W+M-Serie: Industrie- und Handelskammern als Partner der Wirtschaft – IHK Chemnitz
Die Wirtschaft ist in Zeiten der Pandemie besonderen Herausforderungen ausgesetzt. Gerade die vornehmlich klein- und mittelständischen Unternehmen in den neuen Bundesländern mussten sich auf die Krisenbedingungen einstellen und brachten dafür Rat und Tat. Die Industrie- und Handelskammern waren wichtige Ansprechpartner. W+M sprach auch mit dem Hauptgeschäftsführer der IHK Chemnitz Hans-Joachim Wunderlich darüber.
Industrie- und Handelskammern in Zeiten von Corona
W+M: Wie hat sich die Arbeit der Industrie- und Handelskammern in den Zeiten der Coronapandemie verändert und was haben sie aus der Krise gelernt?
Hans-Joachim Wunderlich: Die IHK Chemnitz konnte glücklicherweise mit umfangreichen Hygienemaßnahmen zu jedem Zeitpunkt dieses Jahres ihre uneingeschränkte Erreichbarkeit für Unternehmen sicherstellen. 30.000 durchgeführte Unternehmensberatungen zu Corona zeigen, dass dies auch unbedingt notwendig war. Die Unsicherheit und Unklarheiten rund um Corona waren bei vielen Mitgliedsunternehmen groß. Unsere Beratungen erfolgten hauptsächlich über Telefon, Chat, E-Mail. Präsenztermine und -veranstaltungen wurden deutlich reduziert; Webinare ausgebaut und die Frequenz der Newsletter erhöht. Wir haben unser Internetangebot www.chemnitz.ihk24.de mit aktuellen Information zu Unterstützungen in der Pandemie sehr schnell ausgebaut und halten es ständig aktuell.
Auch wir standen vor der Herausforderung, bei sich ständig ändernden Rahmenbedingungen den Überblick zu behalten, um unsere Unternehmen kompetent zu beraten. Dabei war und ist Kommunikation – ob im Büro oder im Homeoffice – sehr wichtig. In unserer internen Zusammenarbeit sind wir durch die ohnehin geplante Einführung von kollaborativer Software- und Cloudanwendungen agiler geworden.
W+M: Wie bewertet die IHK die Maßnahmen, den wirtschaftlichen Schaden durch die Corona-Krise abzufedern? Waren sie ausreichend?
Hans-Joachim Wunderlich: Die Bekämpfung der Corona-Pandemie hat den Staat zur Verordnung weitgehender Kontakt- und damit Wirtschaftsbeschränkungen gezwungen. Milliarden an Hilfsgeldern wurden zur Abfederung der Einschränkungen eingesetzt und vielen betroffenen Unternehmen sicherten diese Gelder, auch wenn sie teilweise verspätet eintrafen, das wirtschaftliche Überleben. Im Ergebnis liegt die Zahl der Unternehmensinsolvenzen und Gewerbeabmeldungen aktuell deutlich unter dem Vorkrisenniveau.
Vor allem dank der großzügigen Kurzarbeitsregelungen ging die Beschäftigung nur geringfügig zurück. Allerdings muss man darauf achten, dass dieses Instrument absehbar zurückgefahren wird. Sonst bremsen wir den notwendigen Strukturwandel und binden Mitarbeiter die in anderen Branchen und Betrieben dringend gebraucht werden.
Dass in den aufgelegten Corona-Hilfsprogrammen die Lebenshaltungskosten von Selbstständigen bzw. generell keine Unternehmerlöhne Berücksichtigung fanden, ist ebenso ein Kritikpunkt wie die anfänglichen Schwierigkeiten bei der Beantragung und Auszahlung. Bei vielen kontaktintensiven Dienstleistern sind das Eigenkapital und die privaten Mittel mittlerweile aufgezehrt.
W+M: Was braucht die Wirtschaft als Perspektive, um die Corona-Krise zu überwinden?
Hans-Joachim Wunderlich: Die Unternehmen brauchen Planungssicherheit und verlässliche Rahmenbedingungen. Die Wirtschaft muss tatsächlich ihren Geschäften nachgehen können. Unternehmensschließungen und Geschäftseinschränkungen sind unter Einhaltung entsprechender Hygienekonzepte und einer weiter fortschreitenden Durchimpfung der Bevölkerung unbedingt zu vermeiden. Darüber hinaus sind zusätzliche bürokratische und finanzielle Belastungen der Wirtschaft dringend zu unterlassen. Das von vielen Politikern verkündete Belastungsmoratorium entspricht leider nicht der Realität. Um wirklich gestärkt aus der Krise zu kommen, brauchen wir neben der Stärkung des Eigenkapitals der von den Schließungen betroffenen Branchen einen wirklichen Abbau von Bürokratie.
W+M: Wie wichtig ist die Zusammenarbeit zwischen den 14 ostdeutschen Kammern?
Hans-Joachim Wunderlich: Die Zusammenarbeit ist in vielen Bereichen sehr wichtig, denn eine gemeinsame Abstimmung und ein gemeinsames Auftreten zu Themen wie Energiepolitik und Infrastruktur gegenüber der Politik setzt wichtige Impulse und stärkt Ostdeutschland.
Die Industrie- und Handelskammern im Wahljahr
W+M: Wie bewerten Sie die Situation der Wirtschaft in ihrem Kammergebiet? Erfolge und Herausforderungen?
Hans-Joachim Wunderlich: Trotz Materialengpässen und schwierigen Lieferbeziehungen konnten die Industrie und der Bau die Corona-Krise weitgehend hinter sich lassen. Allerdings stellt der Strukturwandel in der Mobilität sowie die stark beschleunigte Digitalisierung viele Geschäftsmodelle auf die Probe. Vielversprechend sind bspw. die regionalen Cluster beim autonomen Fahren und beim Thema Wasserstoff.
Im Dienstleistungssektor ist die Lage hingegen sehr differenziert. Vor allem die Bereiche Tourismus, Hotellerie, Gastronomie, Kultur- und Veranstaltungsbranche sowie weite Teile des Einzelhandels werden noch länger mit den Folgen der Geschäftseinschränkungen zu kämpfen haben, die an vielen Stellen das Eigenkapital der Betroffenen aufgezehrt hat.
Angesichts der demografischen Entwicklung und der zunehmenden Spezialisierung der Wirtschaft stehen zudem alle Branchen vor der großen Herausforderung der Fachkräftesicherung.
W+M: Welche speziellen Forderungen haben Sie an die neue Bundesregierung?
Hans-Joachim Wunderlich: Unmittelbares Ziel des neu gewählten Bundestages muss sein, die Wirtschaft nach der akuten Corona-Krise durch geeignete Rahmenbedingungen wieder auf einen Wachstumspfad zu bringen, der Unternehmensexistenzen und Arbeitsplätze sichert sowie den Aufhol- und Transformationsprozess flankiert. Hierzu gehören die Beschleunigung der Digitalisierung von Verwaltung und Bildung, die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, der Abbau von Wachstumsbremsen sowie technologieoffene Innovationsförderung. Darüber hinaus brauchen wir Konzepte, um die angeschlagenen Branchen wieder auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu bringen. Ich denke da vor allem an die Revitalisierung der Innenstädte und eine Wiederbelebung der Veranstaltungs- und Kulturbranche. Um die enormen Zukunftsinvestitionen in vielen Branchen zu schultern, benötigen wir weiterhin unbedingt großzügigere Abschreibungsregeln. Zudem müssen die Nutzungen von Verlustvorträgen verbessert und die Regelungen dazu dauerhaft verstetigt sowie auf drei Wirtschaftsjahre erweitert werden. Unsere Kernforderungen zur Bundestagswahl finden Sie hier.
W+M: Welche Reformen sind aus Sicht der IHK dringend geboten?
Hans-Joachim Wunderlich: Die vergangenen Monate haben den Fokus der bundesdeutschen Wirtschaftspolitik nahezu ausschließlich auf die akute Krisenbewältigung gelenkt. Dabei sieht sich der Wirtschaftsstandort Deutschland weiterhin mit strukturellen Herausforderungen konfrontiert, die bereits vor Corona existent waren und auch nach der aktuellen Krise wieder auf die Tagesordnung zurückkehren müssen. Das Post-Krisenmanagement darf nicht die seit Jahren bekannten, überfälligen Reformen weiter verzögern. Was es braucht, ist ein Reform-Jahrzehnt, das Deutschland auch mit Blick auf die immer stärker spürbaren demografischen Herausforderungen zukunftsfest aufstellt. Als zentrale Themen seien hier beispielhaft das in den kommenden Jahren weiter abnehmende Fachkräftepotenzial, der Strukturwandel in Industrie und Energiewirtschaft, der Aufbau digitaler Infrastrukturen, ambitionierte Klimaschutzziele sowie der globale Wettlauf um Technologieführerschaften genannt.
W+M: Wie kann Klimaschutz und Wirtschaft aus Sicht der IHK miteinander vereinbart werden?
Hans-Joachim Wunderlich: Das zentrale Ziel der Energiewende ist die Reduktion des CO2-Ausstoßes, nicht die Förderung einzelner Technologien oder Branchen. Eine umfassende CO2-Bepreisung liefert daher einen marktwirtschaftlichen Anreiz für einen offenen Wettbewerb um die effizientesten Technologien zur CO2-Reduktion. Allerdings muss dieses Instrument zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen in den bestehenden europäischen Emissionshandel eingebunden werden und somit mindestens im gesamten EU-Binnenmarkt und möglichst international gelten. Parallel zur Ausweitung des Emissionshandels als Leitinstrument sind staatlich getriebene Kostenbestandteile, wie die EEG-Umlage, zu eliminieren sowie die Stromsteuer auf europäisches Mindestmaß zu senken.
Die Strompreise Deutschlands liegen im europäischen und globalen Vergleich an der Spitze. Nur durch die Rückführung von Umlagen und staatlichen Abgaben, die fast 50 Prozent des Strompreises ausmachen, bleibt die Energiewende bezahlbar.