Transfer für die gelingende Transformation. Ein Plädoyer für mehr Innovationsräume zwischen Wirtschaft und Wissenschaft

In wirtschafts- wie hochschulpolitischen Debatten hört man immer wieder die Forderung nach „mehr Transfer“ zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Insbesondere in strukturschwachen Regionen sollen „Transferräume“[1] entstehen, um Wettbewerbsvorteile zu realisieren und Innovationsprozesse zu unterstützen. Gelingen kann dies nur, wenn Unternehmen und Hochschulen von- und miteinander lernen. Aufgrund ihrer Transformationskompetenz haben ostdeutsche Unternehmen und Hochschulen beste Voraussetzungen für erfolgreiche Kooperationen. Von Prof. Dr. Stefanie Molthagen-Schnöring.

Synergien brauchen Kontaktpunkte

In den letzten Jahren ist zu beobachten, dass Wissenschaftsinstitutionen selbst ihre „dritte Mission“ – den Transfer von Wissen in Wirtschaft und Gesellschaft – aufwerten, indem sie sie zum expliziten Bestandteil ihrer Strategien machen und Ressourcen dafür bereitstellen. Umgekehrt besteht auf Seiten von Unternehmen Interesse daran, aktuelle Forschungserkenntnisse kennen zu lernen und über Hochschulen begabte junge Menschen als Mitarbeiter_innen zu gewinnen.

Beide Seiten wollen also grundsätzlich miteinander in Kontakt kommen und brauchen dazu Kontaktpunkte. Da es nur selten natürliche Begegnungsorte gibt, müssen diese geschaffen werden. Ein Beispiel ist der SpreeHub der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin.[2] Das Angebot des SpreeHub orientiert sich am Bedarf der Unternehmenspartner_innen: Sie können an Veranstaltungen teilnehmen oder sie selbst durchführen, sich zu innovativen Methoden schulen lassen, Input zu aktuellen Entwicklungen aus der angewandten Forschung bekommen und in gemeinsamen Projekten anwenden und so von der wissenschaftlichen Expertise aus Lehr- und Forschungsprojekten profitieren. Die Angebote sind bewusst niedrigschwellig gehalten um insbesondere für KMU interessant und relevant zu sein. Die Pandemie hat auch gezeigt, dass digitale Formate die Hemmschwelle der Teilnahme senken – eine Stunde über Mittag wird gerne für ein Fachgespräch oder einen virtuellen Laborrundgang genutzt, weil der Aufwand von An- und Abreise entfällt.

Unabhängig vom Format des Erstkontakts (der häufig auch über klassische Mailanfragen zustande kommt), gilt es frühzeitig, Erwartungsmanagement zu betreiben: Für Hochschulen steht der wissenschaftliche Aspekt im Rahmen einer Kooperation im Vordergrund, Unternehmen sind häufig an schnellen und pragmatischen Problemlösungen interessiert. Dies sind keine unvereinbaren Ansprüche, die Beteiligten sollten diese aber möglichst schnell transparent machen, um Enttäuschungen im weiteren Prozess zu vermeiden.

Auf die Anwendung kommt es an

Ist die gegenseitige Kontaktaufnahme geglückt, kommt es in einem zweiten Schritt darauf an, passgenaue Transferaktivitäten anzubieten. Längst nicht alle Fächer und Forschungsprojekte sind für Unternehmen gleichermaßen interessant. Allerdings sind zentrale Zukunftsfragen wie der Klimaschutz oder die Gestaltung von Digitalisierungsprozessen sehr dynamisch und werden von der Wissenschaft stark beeinflusst. Entsprechend sind Themenfelder, die sich als besonders relevant für Unternehmen erweisen beispielsweise die Einsatzmöglichkeiten künstlicher Intelligenz oder aktuelle technische Möglichkeiten zum Klimaschutz. Darüber hinaus eignen sich Erkenntnisse zu Führung, Change Management oder Methoden und Inhalten der internen Kommunikation ebenfalls als Transferthema zwischen Wissenschaft und Wirtschaft.

Gerade für ostdeutsche Standorte besteht hier eine spezifische Möglichkeit, genuin am Standort auftretende Fragen zu bearbeiten und Lösungen für die betreffenden Unternehmen zu entwickeln. Es wird oft beklagt, dass in bundesweiten Programmen ostdeutsche Standorte zu wenig berücksichtigt werden – man denke nur an die jüngste Runde der Exzellenzinitiative. Unabhängig von der Tatsache, dass Ungleichverteilungen der Förderung politisch zu diskutieren sind, ergibt sich durch im Dialog und auf Augenhöhe zwischen Wirtschaft und Wissenschaft entwickelte Transferaktivitäten die Möglichkeit der ostdeutschen Standortentwicklung. Sie nützen ostdeutschen Unternehmen unmittelbarer als grundlagenorientierte Spitzenforschung.

Ko-Kreation erweitert die Transformationskompetenz auf beiden Seiten

Die zuletzt skizzierte Vision einer gemeinsamen Bewältigung von spezifisch ostdeutschen Herausforderungen bedeutet eine Win-Win-Situation. Dass dieser Erfolgsfall gerade in Ostdeutschland eintritt, ist nicht unwahrscheinlich, da Ostdeutschland eine spezifische Transformationskompetenz entwickelt hat[3], die erst seit einigen Jahren ins Bewusstsein rückt. Im Ostdeutschland groß gewordene Menschen haben Erfahrungen damit, Veränderungen zu bewältigen, sich ändernden Rahmenbedingungen anzupassen und Neues zu wagen. Denn weit über den unmittelbaren Umbruch der friedlichen Revolution hinaus haben sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen, die wirtschaftliche Lage und die politische Kultur in den vergangenen 30 Jahren schneller und in größeren Ausschlägen verändert als in den meisten Regionen Westdeutschlands. Die daraus erwachsene Transformationskompetenz haben nicht nur Individuen, sondern auch Unternehmen und Institutionen, also auch Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Diese Kompetenz multiperspektivisch in aktuelle Veränderungsprozesse einfließen zu lassen, kann die Transformationskompetenz sowohl auf Seiten der Wissenschaft als auch auf Seiten der Wirtschaft stärken.

 

Prof. Dr. Stefanie Molthagen-Schnöring. Foto: HTW

Die Autorin: Prof. Dr. Stefanie Molthagen-Schnöring ist Vizepräsidentin für Forschung und Transfer an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Ostdeutschen Wirtschaftsforums OWFZUKUNFT.

 

 

 

 

 

[1] So auch der Name des jüngsten BMBF-Förderprogramms (vgl. https://www.innovation-strukturwandel.de/de/t-raum-2877.html).

[2] https://spreehub.berlin/

[3] https://netzwerk.dritte-generation-ost.de/post-transformationskompetenz/