Reiner Haseloff: Das Hauptaugenmerk liegt darauf, die Krise nicht nur zu überstehen, sondern gestärkt aus der Zeit hervorzugehen

Dr. Reiner Haseloff, der Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt, sprach kurz vor der Landtagswahl am 06.06.2021 mit Wirtschaft+Markt über die Chancen seines Landes gestärkt aus der Krise zu kommen, über Defizite aus alten Tagen, Zukunftsthemen und Ostdeutschland.

W+M: Wie haben sich Leben und Aufgabenfelder des MP in Zeiten der Krise verändert?

Reiner Haseloff: Die Mitglieder der Landesregierung arbeiten mit Hochdruck an der Überwindung der Herausforderungen durch die pandemische Lage. Dafür gibt es keine beispielhafte Situation, an der wir uns orientieren können. Nahezu sämtliche Abstimmungen finden virtuell statt. Auf Grund der Corona-Pandemie finden weniger Außentermine statt. Es hat sich also vor allem die Form geändert. Thematisch liegt das Hauptaugenmerk darauf, die Krise nicht nur zu überstehen, sondern gestärkt aus der Zeit hervorzugehen.

W+M: Gehört Sachsen-Anhalts Wirtschaft zu den Gewinnern oder den Verlierern der Krise? Wie kommt Sachsen-Anhalts Wirtschaft durch die Krise?

Reiner Haseloff: Gewinner gibt es in dieser Krise nur wenige, das trifft auch auf Sachsen-Anhalt zu. Besonders schwer hatten und haben es die Unternehmen und Einrichtungen im Veranstaltungs-, Gastronomie- und Beherbergungsbereich. Auch der Einzelhandel blickt auf eine Zeit niedriger und zum Teil fehlender Umsätze zurück. Auch wenn es Nachholeffekte geben wird, werden diese Wirtschaftsbereiche den Verlust der vergangenen Monate nicht ausgleichen können. Insofern werden Bund und Länder auch in den kommenden Monaten die betroffenen Unternehmen unterstützen.

W+M: Wo liegen Sachsen-Anhalts Chancen, gestärkt aus der Krise hervorzugehen?

Reiner Haseloff: Im Detail wird sich das erst später zeigen. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass der Digitalisierungsschub, den die Gesellschaft erfahren hat, zum Treiber eines neuen Aufschwungs werden kann. Das gilt für Unternehmen, Verwaltungen aber auch für die privaten Haushalte.

W+M: Welche Defizite aus der Krisenvorzeit holen uns jetzt besonders ein?

Reiner Haseloff: Bereits zu Beginn der Pandemie zeichnete sich ab, wie schwer sich in einer globalen Pandemie die Beschaffung von notwendiger Schutzausrüstung und von Medizinprodukten sowie Medikamenten gestalten kann, wenn diese außerhalb Deutschlands, meist außerhalb Europas produziert werden. Die Lehren daraus werden die Bundesrepublik und die Europäische Union ziehen.
Auch die Digitalisierung in im Pandemiefall besonders wichtigen Bereichen wie dem öffentlichen Gesundheitsdienst stellte sich zunächst als nicht ausreichend heraus. Hier hat sich mittlerweile jedoch viel getan.
Aber wir sollten nicht nur die Defizite aufzeigen. Es gibt auch viele Dinge, die die Bewältigung der Krise erleichtert haben. Die verantwortungsvolle Finanzpolitik des Bundes, der Länder und vieler Kommunen in der Vergangenheit, hat die umfangreichen Hilfsmaßnahmen erst möglich gemacht. Zudem hat sich das Kurzarbeitergeld auch in dieser Krise als sehr wichtiger Stabilisator erwiesen.

W+M: Was wurde bisher in der Krise für die Wirtschaft getan, was nicht nur Katastrophenhilfe ist, sondern zukunftsweisend?

Reiner Haseloff: Hier ist in erster Linie das Zukunfts- und Investitionspaket des Bundes zu nennen. Hierdurch werden – unterstützt von den Ländern – wichtige Impulse vor allem in den Bereichen Digitalisierung, Kommunikation, klimafreundliche Technologien und Mobilität gesetzt, die vor allem Deutschlands Wachstum nach der Krise vorantreiben werden. Zudem haben wir in Sachsen-Anhalt die Umsetzung der Strukturhilfen des Bundes in der mitteldeutschen Braunkohleregion weiter vorangetrieben. Darüber hinaus gehen die Vorbereitung und Ausgestaltung der nächsten Förderperiode der Europäischen Struktur- und Investitionsfonds durch das Land Sachsen-Anhalt in die letzte Runde. Entgegen den Erwartungen werden die dafür zur Verfügung stehenden Mittel im Vergleich zur bisherigen Förderung nur leicht sinken. Die zukünftige EU-Fonds-Förderung wird dabei helfen Sachsen-Anhalt noch innovativer und klimafreundlicher zu machen.

W+M: Mit der Krise erlebt die Wissenschaft einen Aufschwung in Sachen Anerkennung. Wie kann dieses Ansehen verstetigt werden?

Reiner Haseloff: Der Rat unabhängiger und kluger Wissenschaftler ist außerordentlich hilfreich. Politik und Gesellschaft profitieren von einer fundierten wissenschaftlichen Begleitung. Ganz unabhängig von der Corona-Pandemie steht die Landesregierung stets in engem Austausch mit Vertretern der Wissenschaft. Dabei steht uns besonders die in Halle ansässige Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina mit ihren unabhängigen Empfehlungen zur Seite.

W+M: Gibt es ein großes Zukunftsthema, das Sie mit Vorrang in Ihrer Regierungszeit platziert oder realisiert haben?

Reiner Haseloff: Die nun auslaufende Legislaturperiode wurde umrahmt von zwei großen, von außen auf unser Land wirkende Krisen. Der Zuzug der überwiegend aus Syrien und dem Irak stammenden Flüchtlinge in den Jahren 2015 und 2016 sowie die anhaltende Corona-Pandemie haben die Gesellschaft polarisiert und stellten jeweils eine große Gefahr für die Stabilität unserer demokratischen Grundordnung dar. Dieser Gefahr habe ich an nahezu jedem Tag meiner Amtszeit versucht, entgegenzutreten. Trotz mancher inhaltlicher Unterschiede haben alle drei Koalitionspartner dazu beigetragen, dieses Land nicht nur regierbar zu halten, sondern auch verlässlich zu regieren.

W+M: Hat sich das Agieren rechter Kräfte in Zeiten der Krise noch verstärkt?

Reiner Haseloff: Ja. Und sie haben dabei die durch die Pandemie entstandenen Ängste noch verstärkt. Einerseits haben sie durch falsche Behauptungen die Bevölkerung verunsichert. Wer Corona verleugnet, vor Masken, Tests und Impfungen warnt und sogar noch zur Missachtung der Corona-Regeln aufruft, der spielt bewusst mit dem Feuer. Zugleich war es die AfD, die beispielsweise im Landtag von Sachsen-Anhalt verhindert hat, dass wir die Anwesenheit bei Plenarsitzungen reduzieren. Auch ließen sich viele ihrer Abgeordneten vor den Sitzungen nicht testen und haben damit die Gesundheit vieler ihrer Kollegen riskiert.

Rolle Sachsen-Anhalts in Ostdeutschland

W+M: Welche Rolle spielt Sachsen-Anhalt in Ostdeutschland? Wirtschaftlich, aber auch politisch.

Reiner Haseloff: Sachsen-Anhalts Wirtschaft ist nicht nur für Ostdeutschland, sondern für Deutschland insgesamt ein wichtiger Bestandteil. Viele Unternehmen sind in komplexe, oft internationale Wertschöpfungsprozesse integriert. Und als Logistikdrehkreuz und zudem als einer der größten Windenergieproduzenten hält Sachsen-Anhalt die deutsche Wirtschaft quasi in Bewegung.
Politisch agiert das Land gegenüber dem Bund und den Ländern auf Augenhöhe. Es gelingt uns regelmäßig, Landesinteressen im Einvernehmen mit unseren Partnern umzusetzen bzw. zu platzieren. Bei allem Einvernehmen gilt jedoch grundsätzlich, Sachsen-Anhalt versteckt sich nicht, sei es im Rahmen der Fachminister- oder Ministerpräsidentenkonferenzen oder im Bundesrat, dessen Vorsitz ich derzeit einnehme.

W+M: Welche Rolle kommt Sachsen-Anhalt innerhalb der Wirtschaftsregion Ost zu?

Reiner Haseloff: Die Wirtschaftskraft je Beschäftigten in Sachsen-Anhalt ist eine der höchsten im Osten Deutschlands. Aufgrund der erwähnten Verflechtungen ist unser Bundesland damit von besonderer Bedeutung für die ostdeutsche Wirtschaft.

W+M: Ist für Sie eine Metropolregion von der Ostsee bis zum Thüringer Wald vorstellbar?

Reiner Haseloff: Ich denke, dass dies zumindest derzeit nicht sinnvoll wäre. Es gilt hierbei die bestehenden Verflechtungen in den Blick zu nehmen. Das gilt für Pendler, Unternehmen sowie Forschung und Wissenschaft. Hier sehe ich im Osten mehrere Verflechtungsräume, die jedoch nur wenig miteinander verflochten sind.

W+M: Was halten Sie von einer Sonderwirtschaftszone Ost?

Reiner Haseloff: Sie würde vermutlich den strukturschwachen Regionen im Osten helfen, jedoch ist sie keinesfalls realistisch. Gemessen am europäischen Durchschnitt eignen sich die neuen Länder nicht mehr, um flächendeckende Ausnahmen zu gewähren. Manche Regionen werden seitens der Europäischen Kommission bereits zu den weiter entwickelten Regionen gezählt, in denen deutlich weniger gefördert wird. Wenn für Ostdeutschland neben der bestehenden und wertvollen Förderung der EU und des Bundes zusätzlich (besondere) Impulse gesetzt werden sollen, dann kann das eigentlich nur über Ansiedlungen von Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Behörden sowie über einen präferierten Ausbau der Infrastrukturen erfolgen.

Wahljahr 2021

W+M: Wie lautet ihre Prognose für die Wahlen zum Bundestag?

Reiner Haseloff: Mit Armin Laschet haben wir einen Spitzenkandidaten, der in Nordrhein-Westfalen eine hervorragende Regierungsarbeit leistet. Er ist auf das Amt des Bundeskanzlers sehr gut vorbereitet. Armin Laschet weiß auch um die Sorgen und Nöte der Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik. Nun gilt es, ein bestmögliches Ergebnis bei der Bundestagswahl zu erzielen.

W+M: Wie lautet Ihre Prognose für Sachsen-Anhalt?

Reiner Haseloff: Die CDU leistet in Sachsen-Anhalt eine erfolgreiche Arbeit und wir haben bereits viel erreicht. Als Anerkennung unserer Leistungen sind wir seit vielen Jahren zur stärksten Kraft im Land gewählt worden. Daran gilt es nun bei der anstehenden Wahl anzuknüpfen.

Interview: Frank Nehring