Harry Glawe: “Digitalisierung, Dekarbonisierung und Demografie sind die großen Herausforderungen für die Zukunft der Wirtschaft”

Im exklusiven W+M-Interview mit Harry Glawe, dem Minister für Wirtschaft, Arbeit und Gesundheit des Landes Mecklenburg-Vorpommern spricht er über die Wirtschaft des Landes in der Krise und seine Zukunftsthemen.

W+M: Wie haben sich die Aufgaben und der Tagesablauf des Wirtschaftsministers in Zeiten der Krise verändert?

Harry Glawe: Ich denke, es gibt zwei wesentliche Veränderungen. Die Aufgabenfülle hat sich noch stärker verdichtet als vorher. Wir alle sind mit der Corona-Pandemie in einer Ausnahmesituation, die das ganze Land so noch nicht erlebt hat. Das fordert kurzfristige Absprachen mit allen Beteiligten, extrem schnelle Umsetzungen und manchmal auch unkonventionelle Lösungen, um beispielsweise Impfzentren binnen kürzester Zeit aufzubauen. Pragmatismus ist in vielen Bereichen gefragt. Die zweite wesentliche Veränderung ist die Verschiebung der Schwerpunkte im Aufgabenbereich unseres Ministeriums. Die Bereiche Gesundheit und Wirtschaft nehmen dabei den größten Part ein. Krisenmanagement ist gefragt und gleichzeitig gilt es auch die Zeit nach der Pandemie durch ein entsprechendes Anschubprogramm vorzubereiten.  Auch in meinem persönlichen Tagesablauf hat sich vieles verändert – Besprechungen finden meist nur noch als Telefon- oder Videokonferenz statt. Am stärksten bedaure ich, dass Termine vor Ort so stark reduziert sind. Denn im persönlichen Gespräch ist es oftmals einfacher, Dinge direkt zu klären.

W+M: Erweist sich Ihre Zuständigkeit für Wirtschaft, Arbeit und Gesundheit in diesen Zeiten als Fluch oder Segen?

Harry Glawe: Natürlich ein Segen. Es wird einmal mehr deutlich, wie sehr die Bereiche zusammenhängen. Ich denke, der breite Zuschnitt des Hauses ist von großem Vorteil. Die Themen Wirtschaft, Arbeit und Gesundheit lassen sich im täglichen Leben nicht voneinander trennen. Deshalb nutzen wir die Möglichkeit, die einzelnen Bereiche noch enger miteinander zu verzahnen. Dafür haben wir unter anderem fachübergreifende Arbeitsgruppen gebildet, die eng zusammen arbeiten und so alle Belange in Sachen Corona für die Bereiche Wirtschaft, Arbeit, Gesundheit und Tourismus abstimmen. Auch wenn der Tourismus nicht im offiziellen Namen des Ministeriums auftaucht, spielt die Branche für Mecklenburg-Vorpommern eine wesentliche Rolle.

W+M: Gehört MVs Wirtschaft zu den Gewinnern oder den Verlierern der Krise? Wie kommt MVs Wirtschaft durch die Krise?

Harry Glawe: Die Corona-Krise hat unbestritten die gute wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahre unterbrochen. In Mecklenburg-Vorpommern sind unsere starken Dienstleistungsbereiche betroffen – der Tourismus, der Einzelhandel und die Veranstaltungswirtschaft. Zudem hat die Corona-Krise insbesondere die Unternehmen getroffen, die im oder für den Mobilitäts- und Reisesektor arbeiten. Der Zusammenbruch des Kreuzfahrtmarktes traf die Reedereien, die Werften und ihre Zulieferer. Die Nachfrageeinbrüche bei Airbus und im Automobilmarkt trafen ebenfalls die Zulieferfirmen. Gestützt wird die Wirtschaftsentwicklung derzeit insbesondere durch das Handwerk, die Bauwirtschaft, die Ernährungsindustrie und andere Bereiche des Verarbeitenden Gewerbes. Für das laufende Jahr gehe ich davon aus – sobald die Corona-Beschränkungen gelockert oder aufgehoben werden -, dass es eine spürbare Erholung der Wirtschaft gibt. Ich erwarte deutliche Nachholeffekte gerade im privaten Konsum, wovon Gastgewerbe und Tourismus besonders profitieren werden. Der Sommer im vergangenen Jahr hat gezeigt, dass die Nachfrage nach einem schönen und sicheren Urlaub bei uns riesig ist.

W+M: Wo liegen MVs Chancen, gestärkt aus der Krise hervorzugehen?

Harry Glawe: In der Krise hat sich die enge Zusammenarbeit der Landesregierung mit den Sozialpartnern und Wirtschaftsvertretungen bewährt. Das setzen wir selbstverständlich fort. Wir werden weiter gemeinsam agieren, auch nach der Krise. Und die Krise hat nichts daran geändert, dass der Wirtschaftsstandort Mecklenburg-Vorpommern beste Bedingungen für Investoren bietet. Zudem hat sich die Stärke der kleinen und mittelständischen Unternehmen im Land bestätigt. Diese Betriebe handeln sehr agil und viele Unternehmen haben zügig Lösungen für die neuen Herausforderungen gefunden und umgesetzt.

W+M: Welche Defizite aus der Krisenvorzeit holen uns jetzt besonders ein?

Harry Glawe: Die Krise hat die Digitalisierung noch einmal beschleunigt. Es ist deutlich geworden, dass der Ausbau der Infrastruktur und die Digitalisierung von Prozessen noch schneller gehen müssen. Dafür ist eine digitale Infrastruktur und Mobilfunkversorgung in der Fläche notwendig, um im gesamten Land eine Beteiligung am Digitalisierungsprozess zu ermöglichen.

W+M: Was wurde bisher in der Krise für die Wirtschaft getan, was nicht nur Katastrophenhilfe ist, sondern zukunftsweisend?

Harry Glawe: Im Vordergrund aller Bemühungen steht der Erhalt gesunder Unternehmen und wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze durch die Wirtschaftshilfen von Bund und Land. Kurzarbeitergeld, Ausbildungsunterstützung und Pendlerzuschüsse haben dazu beigetragen, dass die meisten Unternehmen ihre Fachkräfte halten konnten. Für den Tourismus haben wir ein spezielles Modernisierungsprogramm aufgelegt, damit Hotels die Zeit nutzen und attraktiver aus der Krise herauskommen können. Für den Einzelhandel haben wir die Marktpräsenzprämie geschaffen. Das ist ein einmaliger Zuschuss für Maßnahmen zur Erhöhung der Marktpräsenz, etwa für einen Internetauftritt. Das hilft auch langfristig.

W+M: Gibt es ein großes Zukunftsthema, das Sie gern in Ihrer Amtszeit platzieren oder realisieren wollen?

Harry Glawe: Ganz salopp gesagt – die drei D´s. Digitalisierung, Dekarbonisierung und Demografie sind die großen Herausforderungen für die Zukunft der Wirtschaft. Dabei werden wir unterstützen. Eine wichtige Lehre aus der Pandemie ist, die Widerstandskraft der Unternehmen und Lieferketten in schwierigen Zeiten zu stärken. Ich denke, dass wir mit den Bundeshilfen und vor allem den Landeshilfen dazu einen Beitrag geleistet haben. Aktuell steht aber weiterhin die Bewältigung der Corona-Krise im Vordergrund. Wir tun alles dafür, unsere wirtschaftlichen Kerne wie den Schiffbau und den Tourismus zu erhalten und zukunftsfähig aufzustellen. Die Gesundheitswirtschaft weiter voran zu bringen sowie Forschung und Entwicklung auszubauen sind ebenso wichtige Schwerpunktthemen für unser Land. Oberstes Ziel ist es, die Unternehmen weiter zu unterstützen. Gleichzeitig werden wir den Weg weiter gehen, Gründern und Investoren beste Rahmenbedingungen für ihre Vorhaben zu bieten.

W+M: Welche Rolle kommt MV innerhalb der Wirtschaftsregion Ost zu?

Harry Glawe. Foto: _Olaf_Kosinsky

Harry Glawe: Müssen wir 31 Jahre nach der Wende noch in Ost- und Westdeutschland unterscheiden? Wir sind ein Bundesland mit einer wachsenden Zusammenarbeit im norddeutschen Verbund, insbesondere im maritimen Bereich, im Tourismus, der Gesundheitswirtschaft, der Ernährungswirtschaft und in der Energiewirtschaft. Diesen norddeutschen Akzent und die guten Verbindungen in den Ostseeraum sowie zu den Metropolregionen Stettin und Berlin bringen wir in die ostdeutsche Zusammenarbeit ein. Und natürlich ist Mecklenburg-Vorpommern ein begehrtes Reiseziel. Über die Jahre haben wir uns zudem als Gesundheitsland etabliert und bieten ein herausragendes Angebot der Gesundheitswirtschaft.

W+M: Ist für Sie eine Metropolregion von der Ostsee bis zum Thüringer Wald vorstellbar?

Harry Glawe: Ich würde ein so großes Gebiet nicht als eine Metropolregion einordnen.

W+M: Was halten Sie von einer Sonderwirtschaftszone Ost?

Harry Glawe: Eine Sonderwirtschaftszone Ostdeutschland ist in den vergangenen 31 Jahren immer wieder diskutiert und verworfen worden. Es ist nicht zu erwarten, dass dafür die rechtlichen Voraussetzungen im Steuer- oder Beihilferecht geschaffen werden.

W+M: Wie lautet ihre Prognose für die Wahlen zum Bundestag?

Harry Glawe: Das werden die Wähler entscheiden. Ich denke, wir haben eine Bundesregierung mit einer Kanzlerin an der Spitze, die uns besonnen durch die Corona-Pandemie führt.

W+M: Wie lautet Ihre Prognose für die Landtagswahlen in MV? Kandidieren Sie wieder?

Harry Glawe:: Auch das werden die Wähler entscheiden. Ich trete erneut als Landtagskandidat für den Wahlkreis 24 an. Er umfasst die Stadt Grimmen, die Gemeinde Süderholz, die Ämter Miltzow und Franzburg-Richtenberg, sowie das Stadtgebiet Süd der Stadt Stralsund – ein schönes Fleckchen Erde in Vorpommern.

Interview: Frank Nehring