Wirtschaft und Markt

Eine kreislauffähige und gesunde Zukunft

Weniger Verkehr auf den Straßen, spürbar bessere Luft in Ballungszentren und glasklares Wasser in den Häfen Venedigs: Die Corona-Pandemie brachte kurzzeitig nicht nur die Weltwirtschaft zum Erliegen, sondern auch Umweltbelastungen durch Industrie, Mobilität und Konsum. Doch klar ist: Dieser Ausnahmezustand ist nicht zukunftsfähig, weder gesellschaftlich noch wirtschaftlich. Der Circular Economy-Ansatz, also eine konsequente Kreislaufwirtschaft, hingegen liefert langfristige Lösungen für eine umwelt- und menschenfreundliche Zukunft. Diese Denkweise liegt auch dem Cradle to Cradle-Designprinzip (C2C) zu Grunde, bei dem Produkte, Prozesse und Gebäude so gestaltet werden, dass sie gesund für den Menschen und sicher für die Umwelt sind. Von Tobias Fischer

Im Pariser Abkommen von 2015 konnte eine globale Einigung zur Bekämpfung des Klimawandels gefunden werden. Hierfür beläuft sich das gesetzte Klimaziel auf eine Erderwärmung von ungefähr 1,5 Grad. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen bis zum Jahr 2030 40 Prozent weniger Emissionen ausgestoßen werden als noch 1990. Vor allem Unternehmen stehen dabei im Fokus und tragen durch ihr weitreichendes, wirtschaftliches Handeln Verantwortung gegenüber Gesellschaft und Umwelt. Durch die Vermeidung von Downcycling, Rohstoffverbrauch und Abfall liefert das Cradle to Cradle®-Designprinzip einen Lösungsansatz, um den ökologischen Fußabdruck nicht nur zu verringern, sondern sogar positiv zu gestalten. Das C2C-Prinzip stellt somit die Weichen für eine neue industrielle Revolution: die Circular Economy.

Die Circular Economy für einen positiven ökologischen Fußabdruck

Die Revolution 5.0 setzt einen ganzheitlichen Paradigmenwechsel voraus, denn sie steht für eine Wirtschaft mit positivem Einfluss auf Mensch und Umwelt. Das lineare Take-Make-Waste-System, bei dem Rohstoffe zu Produkten verarbeitet werden, die später als Abfall zur Umweltlast werden, gehört somit der Vergangenheit an. Die Circular Economy als Nachfolger des Digitalisierungszeitalters lebt von einer veränderten Denkweise, die nicht nur Produkte, sondern auch Prozesse, Gebäude und ganze Städte nachhaltig verändert. Um das zu erreichen, muss der Lebenszyklus von Produkten und Dienstleistungen neu gedacht werden. Anstatt eines linearen Systems wird in Kreisläufen gedacht, in denen Rohstoffe zirkulieren und für verschiedenste Zwecke in gleicher Qualität wiederverwendet werden. Downcycling wird also zu Upcycling.

Zentral ist es dabei, Wirtschaftlichkeit, soziale Gerechtigkeit und Ökologie nicht als Gegenspieler, sondern als drei einander fördernde Dimensionen zu sehen und zu vereinen. Das schafft Platz für neue Ideen und Innovationen, ganz im Interesse von Gesellschaft und Natur.

Die Natur als Vorbild

Grafik_Cradle to Cradle_Copyright EPEA – Part of Drees & Sommer_Source Braungart _McDonough

Das vom deutschen Chemiker Michael Braungart und amerikanischen Architekten William McDonough entwickelte Cradle to Cradle-Prinzip fußt auf drei fundamentalen Paradigmen: Nährstoffe bleiben Nährstoffe, erneuerbare Energien werden konsequent genutzt und gesellschaftliche sowie biologische Diversität wird stets gefördert. Die Natur ist dabei ständiges Vorbild und somit Wegweiser in allen wichtigen Entscheidungen. Besonders beim Grundsatz der Nährstoffe geht es um die Circular Economy, in der unsere Wirtschaft in zwei kontinuierlichen Kreisläufen zu sehen ist. Im biologischen Kreislauf zirkulieren Verbrauchsgüter wie Kleidung, Verpackungen oder Reinigungsmittel, die nach ihrem Verbrauch direkt in die Umwelt zurückgeführt werden, beispielsweise als Kompost, und keine weiteren Belastungen darstellen. Anders verhält es sich bei den Gebrauchsgütern: Im technischen Kreislauf befinden sich zum Beispiel elektronische Artikel oder Möbel. Diese werden schon in der Herstellung für die nächste Nutzungsphase gestaltet und optimiert und Qualitätsverluste werden durch diese Herangehensweise vermieden. Später können die Materialien problemlos und ohne Abfall wiederverwendet werden.

Fast jede Industrie profitiert von C2C

Das Potential der Circular Economy ist enorm, denn sie findet in fast jeder Industriebranche Anwendung und verbessert deren Prozesse, Denkweisen und somit Umwelteinflüsse. So kann das C2C-Prinzip in der Herstellung von Textilien, Verpackungen und Kosmetika gewinnbringend integriert werden. In der Modeindustrie ist beispielsweise Wolford Vorreiter und produziert C2C-zertifizierte Kleidung, deren Inhaltstoffe sicher, gesund und sowohl für die Biosphäre als auch die Technosphäre optimiert sind.

Auch in der Bau- und Immobilienbranche gewinnt Cradle to Cradle an Bedeutung. Immer mehr Hersteller setzen auf kreislauffähige und gesundheitlich unbedenkliche Materialien und lassen ihre Bauprodukte mit dem Cradle to Cradle®-Zertifikat auszeichnen. Unter den zertifizierten Produkten sind inzwischen System- und Glastrennwände, Bodenbeläge, Isolierungsprofile und Deckensysteme. Diese Entwicklung ist nicht nur willkommen, sondern durchaus notwendig, da der Bau und das Betreiben von Gebäuden eine starke Belastung für die Umwelt darstellen. Allein der Bausektor verbraucht in Europa fast 50 Prozent der Rohstoffe und verursacht 60 Prozent des gesamten Abfalls. Mit einem ganzheitlichen C2C-Ansatz können Gebäude von der Planung über den Bau bis hin zum Betrieb ressourcen- und energieeffizient entwickelt werden. Dabei werden die in den Gebäuden gebundenen Rohstoffe so verbaut, dass sie am Ende der Nutzung wieder als Ausgangsstoff für neue Projekte dienen. Dies wird vor allem dadurch möglich, dass die nach Cradle to Cradle optimierten und zertifizierten Produkte schadstofffrei, sortenrein trennbar und vollständig rezyklierbar sind. So werden alle verwendeten Bauteile und Materialien Teile eines geschlossenen Kreislaufes und die Gebäude zu Rohstoffdepots. Für Bauherren und Projektentwickler lässt sich dadurch nicht nur ein ökologischer, sondern auch ein ökonomischer Zusatznutzen erzeugen.

The Cradle – ein Holzhybrid-Gebäude nach C2C

The Cradle Düsseldorf_Quelle_HPP Architekten_Copyright_INTERBODEN_bloomimages

Zu den Vorreitern, wenn es um Cradle to Cradle inspirierte Immobilien geht, gehört das Holzhybrid-Bürogebäude „The Cradle“ in Düsseldorf. Es stammt aus der Feder der HHP Architekten und wird von INTERBODEN Innovative Gewerbewelten® realisiert. Wie der Name bereits vermuten lässt, wird das Gebäude in Anlehnung an das Cradle to Cradle®-Designprinzip umgesetzt. Konkret bedeutet das: Alle dort eingesetzten Produkte werden auf ihren ökologischen Fußabdruck, Materialgesundheit, Recyclingfähigkeit und Trennbarkeit geprüft. Zum Einsatz kommen nur chemisch unbedenkliche und kreislauffähige Materialien. Nach dem späteren Gebäudeabriss gehen sie in den technischen oder den biologischen Kreislauf zurück – ganz ohne Qualitätsverluste und Abfälle.

Eine weitere Besonderheit beim The Cradle ist, dass bei diesem Projekt Cradle to Cradle erstmalig mit der digitalen Planungsmethode Building Information Modeling (BIM) verknüpft wird. Alle verfügbaren Informationen zu unterschiedlichen Bauteilen des Gebäudes werden dabei in einem sogenannten Building Circularity Passport, also Gebäude-Materialpass, hinterlegt. Dieser funktioniert wie ein klassischer Bauteilkatalog, der zusätzlich Cradle to Cradle-Kriterien beinhaltet, und gibt Auskunft über die verwendeten Materialien sowie deren chemische Beschaffenheit und ökologische Auswirkung. Diese Verknüpfung von BIM und C2C ist bisher einmalig.

Das anspruchsvolle Projekt soll in rund zwei Jahren fertiggestellt werden.

Cradle to Cradle bei Bestandsbauten

Um die Kriterien eines kreislauffähigen Gebäudes zu erfüllen, muss nicht zwingenderweise neu gebaut werden.

Auch Bestandsbauten können so umgestaltet, saniert und renoviert werden, dass sie dem C2C-Konzept gerecht werden. Bei Bestandssanierungen ist zu berücksichtigen, dass auch hier Rohstoffe und Materialien verbaut werden, die potenziell unendlich lang zirkulieren und wiederverwendet werden können. Das weltweit erste Projekt dieser Art ist das C2C Lab in Berlin, das 2019 seine Pforten öffnete. Eine sanierungsbedürftige Gewerbeeinheit wurde mithilfe unterschiedlicher Partner der C2C NGO in ein Reallabor verwandelt, in dem nachhaltige Innovationen erleb- und greifbar gemacht werden. In diesem Showroom sitzt nun auch die neue Geschäftsstelle der Cradle to Cradle NGO. Die Experten der EPEA GmbH und der Drees & Sommer SE haben bei der Umsetzung des C2C Labs aktiv mitgewirkt und begleiten aktuell auch The Cradle mit C2C-Beratung.

Lab_Büro_02_©_C2C LAB
Lab_Showroom_©_C2C LAB

Neben diesen beiden Projekten gibt es noch viele weitere Bauprojekte, bei denen sich das Cradle to Cradle-Prinzip durch seinen wertvollen Einfluss auf Mensch und Umwelt bewährt hat. Beispiele sind das Rathaus im niederländischen Venlo oder der RAG-Neubau auf dem Zeche Zollverein in Essen. Für eine enkelfähige Zukunft ist es aber notwendig, dass das C2C-Prinzip branchenübergreifend zum Einsatz kommt und flächendeckend umgesetzt wird. Nur so ist es möglich, die Zukunft unserer Erde nachhaltig und positiv zu verändern.

Tobias Fischer (Drees & Sommer)
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Foto: OWF2020/Ralf Succo

Der Autor: Dipl.-Ing. Tobias Fischer ist Senior Consultant bei Drees & Sommer am Standort Berlin. Seit mehr als 10 Jahren beschäftigt er sich mit Themen rund um das nachhaltige Bauen und der Circular Economy. Kernthemen sind dabei die Gebäudezertifizierung und Cradle-to-Cradle Beratung. Insbesondere die Aspekte des kreislauffähigen Gebäudedesigns und die materialökologische Begleitung von Bauvorhaben nehmen in seinem beruflichen Alltag einen hohen Stellenwert ein. Seinen Universitären Abschluss erlangte er an der Universität Karlsruhe im Fachbereich der Architektur und absolvierte 2010 seine Ausbildung zum DGNB Auditor. Vor seiner Zeit bei Drees & Sommer war er als Architekt im In- und Ausland sowie als Senior Consultant im Bereich der Nachhaltigkeit in einem Karlsruher Ingenieurbüro tätig.

 

 

 

 

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