W+M-Umfrage zur Perspektive 2021: Neuer Aufschwung oder Dauerkrise? Teil 9 – Julianne Becker, Geschäftsführerin Dietrich & Kokosnuss OHG, Bad Belzig
Die Corona-Pandemie traf 2020 die ostdeutsche Wirtschaft vollkommen unvorbereitet. Doch die Folgen fielen höchst unterschiedlich aus: Während ganze Branchen herbe Umsatzeinbußen und Kurzarbeit verkraften mussten, haben andere Unternehmen in der Pandemie neue Geschäftsfelder für sich entdeckt. Wirtschaft + Markt hat ostdeutsche Unternehmer nach ihren Erfahrungen mit der Pandemie und ihren Erwartungen für das neue Jahr befragt.
Folge 9:
Julianne Becker, Geschäftsführerin Dietrich & Kokosnuss OHG, Bad Belzig
Branche: Tourismuswirtschaft
Das Unternehmen betreibt das Working Retreat Coconat im Bad Belziger Ortsteil Klein Glien. Hier finden Freelancer, digitale Nomaden, Startups und Coworker auf einem ehemaligen Gutshof in kreativer Gemeinschaft Raum zum Arbeiten, Tagen und Entspannen.
W+M: Frau Becker, wie war ihr Unternehmen bzw. ihre Branche in 2020 von der außergewöhnlichen Pandemie-Situation betroffen?
Julianne Becker: Offiziell sind wir ja ein Tourismus-Projekt und die Tourismuswirtschaft gehört natürlich zu den Wirtschaftszweigen, die besonders von der Pandemie betroffen sind. Tourismusbetriebe sind weltweit in vielen Fällen insolvent gegangen oder wurden wie in unserem Fall durch öffentliche Programme gerettet. Wir haben rund 50-70 Prozent weniger Umsatz als im Jahr 2019 gemacht. Von Mitte März bis Juni hatten wir komplett geschlossen, danach haben in verschiedenster Form wieder öffnen können. Ab Juli waren Geschäftsreisen wieder möglich. So hatten wir unser wichtigstes Geschäft in den warmen Sommermonaten, bis uns die zweite Welle im Oktober getroffen hat. In dieser Zeit konnten wir aber höchstens zwanzig Personen empfangen, unsere normale Kapazität liegt bei 54. Nahezu alle Gäste benötigten Einzelzimmer und wir haben seit März 2020 keine Gruppen mit mehr als sechs Personen zu Gast gehabt. Dies hat sich stark ausgewirkt, da Gruppen normalerweise einen großen Teil zu unserem Umsatz beitragen.
W+M: Welche Erwartungen und Projekte verbinden Sie mit dem neuen Jahr 2021?
Julianne Becker: Da unser laufender Betrieb eingeschränkt war, konnten wir mehr Zeit in andere Projekte investieren. Dazu gehören Coco-Cabanas, unser Tiny-Houses-Projekt, und Cocolab, unser Fabrikationslabor. Wir haben darüber hinaus unsere Sommer-Pizzeria „Pizzeria Cocolores“ gestartet. Im Juni wurde das Langzeit-Coliving getestet und die Erfahrungen daraus in neue Angebote integriert, wie das Seasonal Coliving, das wir für die Corona-Zeit eingeführt haben.
W+M: Was sollten Bund und Länder nun zur Ankurbelung der Wirtschaft unternehmen?
Julianne Becker: Viele Maßnahmen waren großartig. Die November-Hilfen könnten verlängert werden. Die Reduzierung der Mehrwertsteuer, auch wenn die Intention dieser Maßnahme verständlich war, hat uns hingegen eine unglaubliche Menge Mehrarbeit beschert, insbesondere für die Buchungen, die wir bereits in unserem System hatten. Auch bei der Gewährung staatlicher Förderkredite gibt es Probleme angesichts unserer Umsatzzahlen in 2020. Vielleicht sollte da mehr Druck ausgeübt werden, dass diese Kredite auch ausgereicht werden. Positiv empfinde ich die Möglichkeit der Kurzarbeit, ich hoffe aber, dass auch den Selbständigen, mit denen wir zusammenarbeiten, geholfen wird.
(aus dem Englischen übersetzt von Matthias Salm)