Die deutschen Automobilhersteller und – zulieferer sind stark von Exporten abhängig. Doch die Handelsmöglichkeiten haben sich im Jahr 2020 auf vielen Märkten verschlechtert. WIRTSCHAFT+MARKT bat die Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing GTAI um eine internationale Marktanalyse. Von Karsten Hintzmann
USA
Für die Autobranche ist das Coronavirus ein sehr harter Einschnitt. Wegen des stark eingeschränkten Luftverkehrs stehen zahlreiche Flugzeuge der Airlines still. Mancherorts dürfen Fabriken, Geschäfte und Restaurants wieder unter Auflagen öffnen. Kaum wiedereröffnet, musste Ford die Produktion in zwei Montagewerken indes erneut anhalten, nachdem Mitarbeiter positiv auf das Coronavirus getestet wurden. Neben der Gefahr eines Virusausbruchs muss die US-Autoindustrie auch auf Unterbrechungen in der Teileversorgung, insbesondere aus Mexiko, gefasst sein. So musste unter anderem Daimler bereits in der zweiten Maihälfte wegen Lieferengpässen die Arbeit in seinem US-Montagewerk in Tuscaloosa, Alabama, wieder stoppen.
Im Gegensatz zu früheren Krisen wurden diesmal alle drei Weltmärkte – in rascher Folge erst China, dann Europa und die USA – stark erschüttert. Die Autokonzerne versuchen in dieser Situation, mehr Fahrzeuge per Direktvertrieb über das Internet zu verkaufen. Mit Auto-Konfiguratoren auf den Internetseiten der Hersteller lassen sich Wunschausstattungen bereits heute individuell zusammenstellen, sodass nur ein Zahlungsweg und ein Verfahren zur kontaktlosen Auslieferung gefunden werden muss.
China
Das besser laufende Premiumsegment, das von deutschen Automobilbauern dominiert wird, visiert für 2020 jedoch eine schwarze Null bis hin zu einem leichten Plus an. Schwer tut sich trotz Verlängerung von Subventionen und Steuerbefreiung der Elektromobilitätssektor. In den ersten fünf Monaten 2020 wurden 38,7 Prozent weniger Autos mit alternativem Antrieb verkauft als im Vorjahreszeitraum. Die Covid-19-Pandemie hat dem Elektromobilitätssektor herbe Verluste beschert. In den ersten vier Monaten 2020 brach die Produktion um 44,8 Prozent im Vergleich zur Vorjahresperiode ein. Der Absatz ging um 43,4 Prozent deutlich zurück.
Brasilien
Brasiliens Kfz-Industrie steht vor einer Umstrukturierung. Nach einem drastischen Einbruch im Zuge der Coronakrise werden sich Verkauf und Produktion nur langsam erholen. Das Verbrauchervertrauen fehlt. Im Kfz-Verleih, der wichtigsten Abnehmerbranche, fiel der Umsatz um 90 Prozent. Auch der Export geht zurück. Der Sektor konnte keine Hilfskredite mit der Entwicklungsbank BNDES aushandeln. Ohne diese droht vielen lokalen Zulieferern und Händlern die Insolvenz. Zudem verteuert der Wechselkurs die importierten Komponenten. Erste Werke nahmen den Betrieb im April wieder auf, einige zögerten den Wiederbeginn bis Ende Juni heraus. Alle Investitionen liegen auf Eis.
Mexiko
Frankreich
Die Krise hat vor allem den notleidenden Autobauer Renault hart getroffen. Anfang Juni hat die Regierung eine Kreditgarantie für fünf Milliarden Euro gewährt. Im Gegenzug garantiert das Unternehmen den Fortbestand einiger Standorte. Drei Fabriken sollen schließen und ein großes Montagewerk in Flins für andere Aktivitäten umgewidmet werden. Renault und PSA zahlen in einen Fonds zur Stützung der Zulieferindustrie ein. Weitere 350 Millionen Euro kommen der Modernisierung von Fabriken und der Forschung zugute. Die Industrie hat zugesagt, ab 2025 eine Million elektrische und Hybrid-Autos im Land herzustellen. Der französische Staat hat Kauf- und Verschrottungsprämien erhöht, um hohe Lagerbestände infolge der Coronakrise abzubauen.
Italien
Russland
Von Januar bis April 2020 ging der Automobilverkauf um insgesamt 19,1 Prozent auf 415.102 Stück zurück. Ausgangsbeschränkungen und Betriebsschließungen haben viele Autohäuser in Existenznot gebracht. Experten der Investmentbank VTB Capital erwarten, dass der Markt für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge im Jahr 2020 um ein Fünftel auf 1,4 Millionen Einheiten schrumpft. Das Hilfspaket des Staates von 25 Milliarden Rubel zielt vor allem auf Nutzfahrzeuge: Verschiedene Ministerien wollen in diesem Jahr 25.000 Kleintransporter und zusätzliche Krankenwagen aus russischer Produktion kaufen. Außerdem stellt die Regierung Gelder für vergünstigte Autokredite und Leasingraten bereit.
Spanien
Großbritannien
Ungarn
Nach überaus erfolgreichen Vorjahren 2018 und 2019 rutschte die Automobilindustrie im 1. Quartal 2020 in die Krise. Alle Automobilwerke des Landes waren im März und April 2020 aufgrund ausbleibender Nachfrage und aus Sicherheitsgründen von mehrwöchigen Produktionsstopps betroffen. Auch große Automobilzulieferer, wie Bosch, Continental oder Denso, arbeiteten wochenlang mit deutlich reduzierter Kapazitätsauslastung. Die Krise bremst die Realisierung großer Investitionsprojekte, wie etwa den Bau des neuen BMW-Werkes in Debrecen, zwar aus. An den Plänen soll aber mit zeitlicher Verzögerung festgehalten werden.
Indien
In Indiens Kfz- und Zulieferindustrie laufen seit Mitte Mai nach fast zwei Monaten wieder die Bänder. Aufgrund von Störungen in der Lieferkette geschieht dies allerdings nur mit Kapazitäten von höchstens 15 Prozent. Wegen der schon vor der Corona-Krise hohen Lagerbestände bei den Original Equipment Manufacturer (OEM) und den Teileherstellern sowie der für 2020/21 erwarteten schwachen Nachfrage nach Pkw und Nutzfahrzeugen dürften viele Autobauer ihre Investitionspläne zurückstellen. Vor allem die Zulieferindustrie hofft, von einer stärkeren Diversifizierung der globalen Supply-Chain bei den OEM profitieren zu können. Die Regierung will Kfz-Unternehmen mit Investitionsvergünstigungen nach Indien locken.
Japan
Südkorea
Steuervergünstigungen beim Kauf bewirken auf Südkoreas Kfz-Markt eine deutliche Zunahme der Zulassungszahlen. Deutsche Anbieter profitieren überdurchschnittlich. Die Zahl der in Südkorea produzierten Kfz fiel 2019 unter vier Millionen Einheiten. In den ersten vier Monaten 2020 sank sie um 17,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Hauptgrund ist die eingebrochene Autonachfrage im Ausland aufgrund von Lock- und Shutdowns. Dementsprechend ist GM Korea, das viele Fahrzeuge exportiert, trotz steigenden Absatzes in Südkorea mit einem Minus von circa 29 Prozent stark betroffen. Lediglich bei Ssangyong war der Rückgang noch höher. Hyundai und Kia treiben die Themen Elektroautos, autonomes Fahren und Brennstoffzellen voran.
Der Kfz-Absatz sank 2019 bei einem zunehmenden SUV-Anteil insgesamt um 1,8 Prozent auf 1,8 Millionen Einheiten. Entgegen dem Trend der Vorjahre waren Importeure stärker betroffen als nationale Anbieter. Auch dank einer bis Ende Juni 2020 befristeten Reduzierung der Erwerbssteuern beim Autokauf fiel in den ersten vier Monaten von 2020 der Absatz trotz des Coronavirus nur um 2,3 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Die Importeure verzeichneten ein Plus von 9,5 Prozent. Deutsche Marken schnitten noch besser ab. Tesla verkaufte von Januar bis April 2020 mehr als 4.000 Fahrzeuge.
Fazit
Dr. Jürgen Friedrich, GTAI-Geschäftsführer und Sprecher der Geschäftsführung, sagt: „Die Coronapandemie hat die Pkw-Märkte dieses Jahr weltweit hart getroffen. Auch in China fiel das erste Quartal 2020 katastrophal aus. Bereits seit Mai 2020 werden jedoch dank Nachholeffekten und günstiger Rabatte pro Monat wieder mehr Pkw mit Verbrennungsmotor verkauft als im jeweiligen Vorjahresmonat. Bei Elektroautos hielten sich die Kunden bislang hingegen zurück; erst im Juli 2020 gelang es, den Absatz des Vorjahresmonats zu übertreffen. Ob die Trendwende nachhaltig ist, muss man sehen.“