Dienstag, April 23, 2024

VDA-Präsidentin Hildegard Müller: Automobilindustrie und Ostdeutschland sind eine Erfolgsschichte – mit Fortsetzung

Ostdeutschland ist Autoland ­– mit einer Tradition, die bis zu den Anfängen des Automobilbaus zurückreicht. Und in dem heute in Werken mit höchster Effizienz modernste, nachhaltigste Fahrzeuge und Technologien produziert werden: Hightech-Elektronik, Verbundstoffe und Elektrofahrzeuge der neuesten Generation. In Zwickau oder Leipzig laufen Elektro-Autos vom Band, die international Maßstäbe setzen. In Leipzig werden außerdem wegweisende Carbon-Karossieren gefertigt, in Kamenz Batterien für die neue Generation der Stromer – um nur einige Beispiele dieser Erfolgsgeschichte zu nennen. Von Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA).

In den fünf ostdeutschen Bundesländern wird die Zukunft produziert, sie sind ein starker Automobilstandort. Aber natürlich leidet auch der unter den Auswirkungen der tiefsten Rezession der Nachkriegsgeschichte infolge der Corona-Pandemie. Die Maßnahmen zur Stabilisierung, die die Politik ergriffen hat, müssen nun auch an die Situation in den ostdeutschen Ländern angepasst werden.

Zu Beginn des zweiten Halbjahres hat sich der weltweite Pkw-Absatz nach dem beispiellosen Einbruch in den ersten sechs Monaten zwar etwas stabilisiert. Aber wir sollten uns nicht täuschen lassen. Die Corona-Krise ist nicht ausgestanden. Die Zahl der Ansteckungen steigt weltweit, und dies wird nicht ohne Auswirkungen auf Wirtschaft, Produktion und Nachfrage bleiben. COVID-19 und die Folgen der Pandemie in den Griff zu bekommen, ist kein Sprint, kein Dauerlauf – das wird ein Ultramarathon für Politik und Wirtschaft. Für uns alle.

Umso wichtiger ist es daher, mehr als Notfallmanagement zu betreiben und diese Krise dafür zu nutzen, Reformen in Wirtschaft und Politik voranzutreiben. Nötig ist ein Stabilisierungs- und Wiederaufbauprogramm, das in eine zukunftsgerichtete Industriepolitik auf nationaler wie europäischer Ebene eingebettet ist. Eine solche aktive Industriepolitik, die natürlich dem Klimaschutz verpflichtet ist, muss die Bedürfnisse der jeweiligen Regionen berücksichtigen und eng abgestimmt sein zwischen der EU und den Mitgliedsländern. Denn 27 Einzelkämpfer, die jeweils für sich agieren, werden es nicht schaffen, den Standort Europa nach Corona fit für die Zukunft zu machen – auch mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit Europas gegenüber China und den USA. Gelingt ein solches Reform- und Zukunftsprogramm, kann unsere Volkswirtschaft und damit die deutsche Automobilindustrie am Ende sogar gestärkt aus dieser Krise hervorgehen.

Für die deutschen Automobilhersteller und Zulieferer in Ost und West ist es entscheidend, sich möglichst rasch zu erholen und zu alter Stärke zurückzufinden. Denn die Unternehmen stehen vor den größten Herausforderungen seit Bestehen dieser Industrie. Die Klimaschutzziele, zu denen sich die Automobilindustrie ausdrücklich bekennt, erfordern einen schnellen Umstieg auf alternative Antriebe und eine Weiterentwicklung moderner Verbrenner. Der Weg zur CO2-freien Mobilität, den unsere Hersteller und Zulieferer mit hohem Engagement und enormen Investitionen eingeschlagen haben, fordert diese Industrie an sich schon auf das Äußerste.

Hinzu kommen die Entwicklung digitaler Technologien, Services und Geschäftsmodelle sowie die Vernetzung und Automatisierung des Automobils und Fahrens. Das sich wandelnde Mobilitätsverhalten der Menschen und die Debatten in Metropolen, welchem Verkehrsträger wie viel Platz in den Citys eingeräumt werden soll, sind weitere Herausforderungen. Diese Debatten polarisiert leider auch und werden oft nicht mit Blick darauf geführt, dass die Menschen ganz unterschiedliche Mobilitätsbedürfnisse haben.

Eine jüngst vom Verband der Automobilindustrie durchgeführte Umfrage unter seinen Mitgliedern im Bereich der Zulieferer hat ergeben, dass aufgrund der tiefgreifenden Veränderungen ein knappes Drittel bereits vor der Corona-Krise Personalabbau in Deutschland geplant hat. Dafür ausschlaggebend waren bei mehr als zwei Dritteln der betroffenen Unternehmen die allgemein schwache Konjunktur und die hohen Kosten am Standort Deutschland. Wir brauchen daher zusätzlich zu den Maßnahmen gegen Corona eine Senkung der steuerlichen Belastung von Unternehmen, bezahlbare Energie, weniger Bürokratie und vor allem keine weiteren Belastungen.

Hildegard Müller. Foto VDA

Nur so können wir dauerhaft Produktion und Beschäftigung im Land halten. Und das ist gerade zur Sicherung des erreichten Wohlstands in Ostdeutschland wichtig. Die Automobilindustrie ist dort seit der Wiedervereinigung die treibende Kraft des Aufschwungs, der aus einer klugen Förderpolitik, exzellent ausgebildeten und motivierten Fachkräften sowie einer guten Kostenstruktur resultiert. In den knapp 300 Betrieben mit mehr als 20 Mitarbeitern der fünf östlichen Bundesländer arbeiten 73.000 Beschäftigte. 596.000 Pkw wurden 2019 in Ostdeutschland produziert. Dieser Erfolgsgeschichte soll fortgeschrieben werden.

Dafür brauchen wir in Deutschland und Europa die richtigen politischen Rahmenbedingungen. Aus den vielen im Konjunkturpaket formulierten Absichten muss schnell konkretes Handeln folgen. Erfolgreiche Digitalisierung etwa gelingt nur, wenn die bis 2025 geplanten flächendeckenden 5G-Netze dann auch tatsächlich existieren. Gerade in Ostdeutschland ist es entscheidend, dass modernste Infrastruktur entsteht, damit die Region für Arbeitskräfte, Investoren und Unternehmen attraktiv bleibt. Dazu gehören auch ein gutes Bildungsangebot und der weitere Ausbau der Verkehrsinfrastruktur.

Zuletzt brauchen wir eine Debatte darüber, wie wir die Mobilität der Zukunft gestalten wollen und dabei den Bedürfnissen der Menschen ihrer jeweiligen Lebenssituation gerecht werden. In ländlichen und dünner besiedelten Regionen wie in vielen Gegenden Ostdeutschlands beispielsweise wird für längere Distanzen über Land, in abgelegenen Regionen und in kleinen Gemeinden das Auto absolut unverzichtbare Grundlage individueller Mobilität bleiben. Und wir müssen im Auge behalten, dass individuelle Mobilität weiterhin bezahlbar ist. Aber auch das gilt für alle Menschen – egal wo sie wohnen und arbeiten.

 

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