Die „Lange Lauchstädter Straße“ zwischen Teutschenthal und Bad Lauchstädt macht ihrem Namen alle Ehre: links und rechts weites Feld mit Windkraftanlagen am Horizont. Nicht zu sehen ist der unterirdische Salzstock, in dem Erdgas gespeichert wird – und wo sich Zukunftsweisendes tut: Hier entsteht der weltweit erste Kavernenspeicher, der grünen Wasserstoff aus erneuerbaren Energien speichert.
„Wir haben so einige Leuchtturmprojekte zu bieten“, sagt Florian Thamm, Marketingchef des HYPOS-Konsortiums. „Hydrogen Power Storage & Solutions East Germany“, so die Langfassung des Netzwerkes aus Wirtschaft und Wissenschaft. Es war 2013 angetreten, in Mitteldeutschland eine Wasserstoffmodellregion zu etablieren. Im Berliner Bundesforschungsministerium kommen solche Nachhaltigkeitsgedanken gut an. HYPOS wurde in das Förderprogramm „Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation“ aufgenommen. Der Energieträger Wasserstoff leistet einen entscheidenden Beitrag zum Gelingen der Energiewende – wenn er nicht konventionell aus Erdgas erzeugt wird. Im klimaneutralen Elektrolyseprozess wird Wasser mittels erneuerbarer Energie aus Wind- oder Solarenergie in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Dabei entsteht ein vollständig emissionsfreier Kreislauf.

Wasserstofffabrik der Zukunft

In der Wasserstoff-Modellregion soll eine komplette H2-Wertschöpfungskette abgebildet werden – von der Erzeugung über Speicherung bis zum Transport. An deren Anfang steht die Entwicklung neuer Elektrolysesysteme, damit Grüner Wasserstoff klimaneutral und kostengünstig hergestellt werden kann. Die HYPOS-Mitglieder Siemens AG, Linde Aktiengesellschaft und das Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS kooperieren in dem Projekt „GreenHydroChem Mitteldeutschland“, das als Gewinner im Ideenwettbewerb „Reallabore der Energiewende“, vom Bund gefördert wird. Am Chemiestandort Leuna wird die mit über 100 Megawatt bislang weltweit größte Elektrolyse-Anlage zur Erzeugung von Grünem Wasserstoff errichtet. Zudem entstehen derzeit in Leuna die Elektrolysetest- und -versuchsplattform ELP sowie eine Skalierungsplattform. Der hier im Großmaßstab erzeugte Grüne Wasserstoff soll zur Herstellung von nachhaltigen Grundchemikalien und Kraftstoffen genutzt werden. Der Aufbau dieser vom Land Sachsen-Anhalt geförderten Anlagen wird vom Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse CBP in Leuna und vom Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS in Halle (Saale) wissenschaftlich vorangetrieben. Betrieben werden die Anlagen von der TOTAL Raffinerie Mitteldeutschland GmbH in Leuna.
„Da nicht überall Wind- und Photovoltaikanlagen gebaut werden können, setzen wir ebenso auf standortunabhängige Lösungen, nutzen gegebenenfalls auch Biogasanlagen für die Produktion von Wasserstoff“, sagt Torsten Birth und verweist auf ein spezielles Gärungsverfahren, mit dem aus organischen Rohstoffen Wasserstoff erzeugt werden kann. Am Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF in Magdeburg leitet Birth das Forschungsteam Energie- und Ressourceneffiziente Systeme. Das IFF entwickelt derzeit das Konzept für die „Wasserstofffabrik der Zukunft“. Die soll sich aus bedarfsgerechten, dezentralen Modulen zur Produktion und Verteilung von Grünem Wasserstoff zusammensetzen.

„Wasserstoffdorf“ im Chemiepark Bitterfeld

Ein Glied in der Wertschöpfungskette ist der besagte Salzstock bei Bad Lauchstädt. Hier hat die VNG Gasspeicher GmbH neue Kavernen errichtet, um sie in den Testbetrieb für Grünen Wasserstoff zu geben. Der Hohlraum soll über ein Volumen von etwa 3800 Tonnen Wasserstoff verfügen. „Der Energiegehalt dieser Wasserstoffmenge entspricht dem Jahresstromverbrauch von zirka 40.000 Zwei-Personen-Haushalten“, zieht Florian Thamm einen anschaulichen Vergleich und beruft sich auf Prognosen hinsichtlich des Absatzes von Wasserstoff. So würden bis 2050 im Umfeld des Ballungszentrums Halle-Leipzig und in den benachbarten Städten pro Jahr zirka neun Milliarden Kubikmeter Grüner Wasserstoff benötigt.
Nicht zufällig erstreckt sich der HYPOS-Aktionsradius über das traditionsreiche Chemiedreieck Böhlen-Leuna-Bitterfeld. Es verfügt bereits über eine etwa 150 Kilometer lange Wasserstoffpipeline und über traditionell angesiedelte Fachkompetenz. Für den Wasserstoff-Transport zwischen dem Chemiedreieck und der Speicheranlage in Bad Lauchstädt soll eine umzuwidmende Erdgaspipeline genutzt werden.
Um den Nachweis zu erbringen, dass die Gasinfrastruktur auch mit reinem Wasserstoff funktioniert, wurde von der Mitteldeutschen Netzgesellschaft Gas mbH (MITNETZ GAS) das HYPOS:H2-Netz errichtet. Mit dem sogenannten „Wasserstoffdorf“ beginnt das erste grüne Kapitel des 126-jährigen Chemieparks Bitterfeld in Sachsen-Anhalt. Hier in der Chlorstraße wurde das innovative Vorzeigeprojekt auf einem 12000 Quadratkilomeer großen Gelände errichtet. An Tagen der offenen Tür erfreut sich das reale H2-Testfeld großem Interesse. Hier wird die Verwendung von Grünem Wasserstoff technisch, wirtschaftlich und ökologisch bewertet. Und es veranschaulicht nachvollziehbar, wie die Versorgung etwa eines Wohngebietes mit diesem nachhaltigen Energieträger funktionieren kann.

H2-Leuchttürme mit internationaler Strahlkraft

Autorin: Kathrain Graubaum/IMG Sachsen-Anhalt