enviaM-Chef: „Krisenbewältigung und Klimaschutz nicht gegeneinander ausspielen“

Im Nachgang zum Jahrespressegespräch der envia Mitteldeutsche Energie AG (enviaM) führte W+M ein Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden Dr. Stephan Lowis über die Bilanz 2019, die Unternehmensschwerpunkte für 2020, die Corona-Krise und die Folgen für Energiewende und den Klimaschutz.

W+M: Wie ging es der enviaM-Gruppe im Jahr 2019? 

Dr. Stephan Lowis: Wir sind mit dem Geschäftsjahr 2019 sehr zufrieden. Das Ergebnis der enviaM-Gruppe bewegt sich auf einem ähnlich hohen Niveau wie im Vorjahr. Dies ist eine sehr gute Nachricht für unsere Anteilseigner. Sie erhalten eine Dividende von 0,65 Euro je Stückaktie. Insgesamt schütten wir rund 161 Millionen Euro an unsere Gesellschafter aus. Davon profitieren auch 650 ostdeutsche Städte und Gemeinden, die an uns beteiligt sind. An sie fließen rund 67 Millionen Euro. Sehr erfreulich ist außerdem, dass unsere Kundenzahlen trotz des zunehmenden Wettbewerbs gestiegen sind. Wir haben im Strom- und Gasbereich mehr als 10.000 neue Privat- und Gewerbekunden hinzugewinnen können.

W+M: Welche Unternehmensschwerpunkte gibt es für das Jahr 2020?

enviaM-Gebäude in Chemnitz, Foto: enviaM

Dr. Stephan Lowis: Die Investitionen für die Energiewende, die wir vor der Corona-Krise geplant haben, wollen wir auch weiterhin umsetzen. Entsprechende Aufträge sind bereits zum großen Teil vergeben worden. Für den Ausbau unserer Stromnetze werden wir 2020 knapp 300 Millionen Euro bereitstellen. Wir beabsichtigen, unter anderem neun Umspannwerke und fünf Hochspannungsleitungen neu zu bauen beziehungsweise zu modernisieren. Auch die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien wollen wir im laufenden Jahr weiter vorantreiben. Vorgesehen ist, mehr als 20 Millionen Euro in neue Photovoltaik-, Wasserkraft- und Windenergieanlagen zu investieren. Auf diese Weise leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Versorgungssicherheit und des Klimaschutzes in Ostdeutschland.

W+M: Wie geht es enviaM in der Krise?

Dr. Stephan Lowis, Foto: W+M

Dr. Stephan Lowis: Wir sind als Energieversorgungsunternehmen sicherlich nicht so hart von der Corona-Krise betroffen wie andere Branchen. Wir tragen als führender regionaler Energiedienstleister in Ostdeutschland eine besondere Verantwortung für die Aufrechterhaltung des öffentlichen Lebens. Unsere Energienetze sind die Lebensadern für Wirtschaft und Gesellschaft. Wir tun deshalb alles, um die Energieversorgung sicherzustellen. Wir nehmen die Pandemie sehr ernst und haben sehr schnell und konsequent darauf reagiert. Sofort nach Ausbruch des Corona-Virus sind von uns zahlreiche Vorsichtsmaßnahmen ergriffen worden, um die Geschäftstätigkeit zu gewährleisten und der Ausbreitung des Krankheitserregers entgegenzuwirken. So sind zwischenzeitlich rund 1.700 Mitarbeiter ins Home-Office gegangen, die seit Anfang Mai schrittweise wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren. Auch unsere Kundenfilialen waren vorübergehend geschlossen. Sie sind mittlerweile wieder teilweise geöffnet.

4. Wie groß werden die Schäden durch die Krise für enviaM sein?

Dr. Stephan Lowis: Es ist zu früh, um hier Konkretes zu sagen. Wir wissen momentan noch nicht genau, wie sich die Pandemie auf unsere Unternehmensentwicklung auswirken wird. Fakt ist: Wir sind weiter leistungs- und handlungsfähig, beschäftigen uns mit Wachstumsthemen und planen wichtige Investitionen. Fakt ist aber auch, dass wir nicht völlig unbeschadet aus der Corona-Krise herauskommen werden.

W+M: Welche Chancen bietet die Krise?

Dr. Stephan Lowis: Die Pandemie wird ohne Frage zu einer Beschleunigung der Digitalisierung führen. Wir können dank digitaler Kommunikationswege die Corona-Krise deutlich besser bewältigen als noch vor zehn Jahren. Kommunikation und Organisation funktionieren weitgehend problemlos. Unsere Mitarbeiter im Home-Office arbeiten wie im Büro schnell und zuverlässig. Wir registrieren zudem, dass auch unsere Kunden noch stärker digitale Kontaktmöglichkeiten nutzen. Im Zuge der Pandemie haben die Zugriffe auf unser Online-Kundenportal um über 20 Prozent zugenommen.

W+M: Wie schätzen Sie die Folge der Corona-Krise für die Themen Energiewende und den Klimaschutz ein?

Foto: enviaM AG

Dr. Stephan Lowis: Leider nimmt der Klimawandel keine Rücksicht auf die Corona-Krise. Wir müssen deshalb alles tun, um unsere Klimaschutzziele zu erreichen. Es wäre falsch, hier aufgrund der Pandemie zurückzustecken. Die Politik sollte daher unbedingt am Klimaschutzpaket festhalten. Wir dürfen Krisenbewältigung und Klimaschutz nicht gegeneinander ausspielen. Zwei Themen müssen dringend Eingang finden: Zum einen sollten Investitionen für den Klimaschutz in Konjunkturprogrammen in geeigneter Weise Vorfahrt er-halten. Zum anderen sollten Investitionshemmnisse für die Energiewende beseitigt werden. Dies schafft wichtige Wachstumsimpulse.

W+M: Welche Vorschläge zur Konjunkturbelebung haben Sie?

Dr. Stephan Lowis: Wir schlagen zur Konjunkturbelebung vor, die für 2025 geplante Senkung der EEG-Umlage von rund 2,9 Cent je Kilowattstunde netto auf 2021 vorzuziehen und zugleich die EEG-Umlage auf 5 Cent je Kilowattstunde netto zu deckeln. Ferner sollte die Stromsteuer von 2,05 Cent je Kilowattstunde netto auf das europäische Mindestmaß von 0,05 Cent je Kilowattstunde netto gesenkt werden. Darüber hinaus regen wir an, die Mehrwertsteuer für Strom auf den Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent zu reduzieren. Die Maßnahmen würden unter dem Strich zu einer Verringerung des Strompreises von mehr als 8,0 Cent je Kilowattstunde führen. Das sind aktuell mehr als 25 Prozent. Dies entlastet die Stromverbraucher spürbar und kurbelt die Wirtschaft an.

Chemnitz/15.05.2020