Das kann man so machen. Aber dann wird’s halt Mist.
Wenn wir unsere alten, unproduktiven Arbeitsformate virtuell machen, stecken wir uns nicht an. Das war es aber auch schon…Das kann man so machen. Aber dann wird’s halt Mist. Von Kai Anderson
Was haben wir nicht alles für Vorbehalte gehört. „Zuhause sind die Leute nur abgelenkt.“ „Wie soll man denn seine Mitarbeiter kontrollieren?“ Oder „In unserem Job muss man vor Ort sein“. Eine ganze Reihe von Führungskräften haben sich sehr schwergetan, virtuelles Arbeiten zu akzeptieren oder sogar selbst zu praktizieren. Der mögliche Kontrollverlust wog schwerer als die offensichtlichen Vorteile – für Alle. Das dabei die Attraktivität als Arbeitgeber auf der Strecke bleibt, hat sich nur langsam herumgesprochen. Tatsächlich sind die Präferenzen insbesondere der jüngeren Generationen hier sehr eindeutig. In verschiedenen Studien geben mehr als die Hälfte der Befragten an, Jobs abzulehnen, wenn keine Möglichkeiten flexibler Arbeitsgestaltung geboten werden.
Und plötzlich – innerhalb von Tagen – arbeiten wir von Zuhause aus. Bestimmen selber wann und wieviel wir arbeiten. Sitzen vor dem Computer und sind produktiv – produktiver zum Teil als wären wir im Büro. Eine Stanford-Studie aus dem Jahr 2013 hat schon gezeigt, dass Arbeit im Homeoffice mit weniger Pausen, längerer Arbeitszeit und höherer Arbeitszufriedenheit verbunden ist.
Alles gut also? Mitnichten!
Wir sind wie von einem Tsunami in unsere Home-Offices gespült worden, wenn wir sie denn überhaupt haben. Ein Teil der Menschen, die jetzt nicht mehr zur Arbeit gehen können, hat keine eigenes Büro oder zumindest einen ergonomischen Arbeitsplatz. Die Bude ist voll – der Lebenspartner und die Kinder sind ebenfalls daheim. Die Grenzen zwischen Beruf und Privat verschwimmen bis zur Unkenntlichkeit. Der ganz entscheidende Unterschied zu der Zeit vor der Krise ist die Zeit selbst, die wir jetzt in den eigenen vier Wänden verbringen. War Homeoffice bisher immer im Mix mit Anwesenheit im Büro verbunden, hocken wir jetzt permanent zuhause. Das war so nicht gedacht. Und insofern ist die Belastung selbst für erfahrene Homeworker deutlich gestiegen. Ganz klar – die Verantwortung für eine sinnvolle und gesunde Gestaltung der Arbeit von zuhause liegt zuerst bei einem selbst. Viele Tipps (und noch mehr Gags) kursieren, wie der neue Arbeitsalltag zu bewerkstelligen ist.
Im Stretch sind aber nicht nur die Mitarbeiter, die plötzlich permanent von zuhause arbeiten. Unternehmen haben eine Verantwortung für Ihre Mitarbeiter – auch wenn der Arbeitsplatz nach Hause wechselt. Das Bereitstellen einer entsprechenden technischen Infrastruktur ist da selbstverständlich und Selbstzweck. Die Organisation der Arbeit für den Einzelnen und für das gesamte Unternehmen ist weniger offensichtlich. Dabei liegt grade hier der Schlüssel für einerseits erfülltes Arbeiten, andererseits gute Arbeitsergebnisse. Es ist eben nicht damit getan, mal einfach auf Video-Konferenzen umzustellen, auch wenn sich in denen zu Anfang, noch eine gewisse Euphorie breit macht, wenn man die ganzen bunten Bildchen von den Kollegen sieht.
Damit ist es schnell vorbei, wenn diese Art von Meetings noch weniger produktiv ist, als die immer schon als anstrengend empfundenen, endlosen Runden mit einer Vielzahl zum Teil unbekannter Gesichter und immer denselben Leuten, die einen Großteil an Airtime für sich in Anspruch nehmen.
Viele Unternehmen stolpern in die neue virtuelle Arbeitswelt, ohne einen echten Plan zu haben.
Sie übertragen althergebrachte Arbeitsformen, -methoden und -rituale auf neue Technologien, ohne die Sinnhaftigkeit zu hinterfragen und Alternativen zu entwickeln. Dabei liegt grade in dem forcierten und umfassenden Umstieg auf virtuelles Arbeiten eine Chance, deutlich effizienter und effektiver zu werden.
Was also ist zu tun?
Eine Bestandsaufnahme und Strukturierung gängiger Arbeitsformate ist ein guter Anfang. Die einfache Status-Besprechung im Team ist etwas anderes als das Zusammenkommen eines Entscheidungs-Gremiums. Interviews erfordern ein anderes Setup als die Arbeit mit Fokus-Gruppen. Auch komplexe Formate, wie Design-Thinking Workshops oder Austauschformate mit mehr als 100 Teilnehmern können virtuell durchgeführt werden. Professionell gemacht stehen die virtuellen Formate den analogen in nichts nach. Was zählt ist zuerst die Qualität der Ergebnisse und dann das, was wir heute ‚Experience‘ nennen. Die kann auch in virtuellen Formaten die Teilnehmer begeistern. Damit das gelingt braucht es ein anderes Verhalten als in persönlichen Meetings. Klare Regeln und Tipps helfen Moderatoren und Teilnehmern. Von einfachen Dingen, wie dem Abstellen des Mikrofons, wenn man nicht spricht, dem Benutzen der Chat-Funktion bis hin zu Check-in und Check-out Ritualen gibt es eine Bandbreite dessen was man richtig – oder falsch machen kann.
Der balancierte Mix an Methoden und Tools – abgestimmt auf den jeweiligen Anlass ist entscheidend für die Qualität der Arbeitsergebnisse. Mit steigender Komplexität der Formate und einer größeren Anzahl an Teilnehmern steigen die Anforderungen an die virtuelle Unterstützung.
Einfache Abstimmungen und Workshops kommen mit den gängigen Tools wie Skype oder Zoom aus und einem Moderator, der durch die Agenda auf Powerpoint führt. Müssen Ergebnisse mit mehr als 5 Personen erarbeitet werden, reicht ein Moderator meist nicht mehr aus. Es braucht zusätzliche Ressourcen im Einsatz verschiedener Methoden, in der Unterstützung der Teilnehmer sowie in der Dokumentation und Bedienung der Tools. Überhaupt ist die Moderation virtueller Arbeits-Session deutlich herausfordernder als die Moderation von Präsenz-Runden. Schon in größeren Runden in einem (realen) Raum ist es ein Problem, jeden Teilnehmer zum Mitmachen zu motivieren. In virtuellen Räumen mit Teilnehmer die womöglich nebenher Mails lesen oder die Aktienkurse beim Abrutschen beobachten, ist das eine ordentliche Herausforderung. Regelmäßige Befragungen über Polling-Tools verschaffen ein Mindestmaß an Interaktion.
Echter Dialog und wirkliche Zusammenarbeit kann nur in kleineren Gruppen entstehen – keine neue Erkenntnis.
Dazu braucht es Tools, die eine Aufteilung der Teilnehmer in virtuelle Break-out Gruppen ermöglichen. Hier können beispielsweise Brainstormings stattfinden, in denen die Teilnehmer mit Tools wie Miro selber Ideen an ein gemeinsames Whiteboard pinnen. Alles möglich, also. Aber nicht von ungefähr. Mehr noch als in der gewohnten Büro-Umgebung erfordert virtuelle Zusammenarbeit eine intensive Vorbereitung und umfassende Unterstützung in der Durchführung. Die Chance: richtig gemacht sind die gemeinsamen Sessions kürzer, mit geringerer Vorlaufzeit für die Teilnehmer und besseren Ergebnissen. Wir können alle wesentlich produktiver sein, wenn wir die gemeinsame Zeit im virtuellen Raum vernünftig nutzen. Keine Frage, die Corona-Krise verschafft virtuellem Arbeiten einen ungeahnten Schub, der unsere Arbeitswelt dauerhaft verändern wird. Die Erkenntnis, dass man nicht notwendigerweise um die halbe Welt fliegen muss für ein Business-Meeting mag zwar den Fluggesellschaften nicht gefallen, für den gestressten Manager ist sie hingegen geradezu therapeutisch.
Mal ganz abgesehen vom Thema Nachhaltigkeit, das uns im letzten Jahr wie kein anderes beschäftigt hat und mit der Krise weit nach hinten gerutscht ist auf der persönlichen und medialen Aufmerksamkeits-Skala. Es wird zurückkommen, wenn die aktuelle Krise überwunden ist. Im Gegensatz zu Corona ist die globale Erwärmung kein Thema, das wir in ein bis zwei Jahren gelöst haben werden. Den einen Impfstoff gegen CO2-Emissionen wird es nicht geben, aber mit virtuellem Arbeiten haben wir zumindest ein Mittel, das einen nicht unerheblichen Beitrag leisten kann. Gut für die Umwelt, gut für die persönliche Work-Life Balance, gut für echte, grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Unternehmen – ein Gewinn für Alle. Wenn wir es richtig machen, wird unsere Welt ein wenig besser mit dem, was wir aus dieser Zeit jetzt mitnehmen. In jeder Krise liegt eine Chance? Hier ist unsere.
(Dieser Beitrag erschien in der HORIZONT ONLINE)
Der Autor
Kai Anderson ist Gründungspartner von Promerit, einer Beratung für People Management, die heute zu Mercer gehört. Als Veränderungsexperte für Kultur- und Organisationsentwicklung begleitet er Executives bei der Transformation von Unternehmens sowie der Gestaltung eines modernen HR Managements. Kai Anderson wurde mehrfach zu den ‚Führenden Köpfen des deutschen Personalwesens‘ gewählt. Er ist Autor und Herausgeber der Bücher ‚Das agile Unternehmen’ und ‚Digital Human‘ sowie Speaker in Fachveranstaltungen und Dozent in Seminaren zu Transformations-Themen.