Im W+M Exklusivinterview sprachen wir mit Dr. Robert Hermann, Geschäftsführer der GTAI GmbH über den bevorstehenden Brexit, die Sanktionspolitik der USA und wie sich gerade die ostdeutschen Unternehmen darauf einstellen sollten.
Dr. Robert Hermann: Für die deutsche Wirtschaft ist es unheimlich wichtig, dass es keinen chaotischen Brexit, sondern einen EU-Austritt auf Basis eines Abkommens gibt. Wir hatten mit Großbritannien bisher intensive Wirtschaftbeziehungen und hoffen, dass das auch in Zukunft so sein wird. Für die deutsche Wirtschaft wirkt sich der nahe Brexit bereits heute aus – das sehen wir unter anderem daran, dass die Lagerhaltung optimiert wird und Zweigstellen von Unternehmen sowohl in Deutschland als auch in Großbritannien eröffnet werden, um sicherzustellen, dass man weiterhin Waren in beide Richtungen verkaufen kann. Das Handelsvolumen zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich ist im ersten Halbjahr 2019 im Vergleich zum Vorjahr bereits um 4,3 Prozent gesunken.
W+M: Gibt es konkrete Empfehlungen, die Sie den Unternehmen bezüglich des England-Geschäfts mit auf den Weg geben?
Dr. Robert Hermann: Ganz wichtig ist es, in diesen Monaten informiert zu bleiben. Dass man jederzeit weiß, was aktuell passiert. Dazu gibt es uns, wir haben Experten in Großbritannien und Bonn, die sich gerade auch mit Rechts- und Zollfragen auskennen und Informationen aufbereiten und zusammenstellen. Man kann sich natürlich auch bei der regionalen IHK informieren. Darüber hinaus sollte man sich über den Markt in Großbritannien Gedanken machen, beispielsweise hinsichtlich der Lagerhaltung.
Die Reaktion auf den Brexit sollte nicht sein, dass sich die Unternehmen von Großbritannien abwenden. Denn der Markt wird bleiben, die Größe des Marktes wird bleiben, die Relevanz des Marktes ist groß. Die EU wird sich bemühen, Rahmenbedingungen zu schaffen, die gewährleisten, dass Geschäft und Handel auch weiterhin betrieben werden können.
Dr. Robert Hermann: Die Zahlen sprechen dafür. Im Jahr 2018 exportierten Unternehmen aus den fünf neuen Ländern und Berlin Waren in einem Gesamtwert von 8,7 Milliarden Euro in die USA. Das waren 10 Prozent weniger als 2017. Es wäre auch erstaunlich, wenn die Zolldiskussion keinen Einfluss auf die Geschäfte hätte. Das gilt sowohl für Unternehmen in Deutschland als auch in den USA.
W+M: Haben sich US-Firmen und US-Investoren seit Beginn der Trump-Ära im Vergleich zu den Jahren davor eher stärker oder zurückhaltender in Ostdeutschland engagiert?
Dr. Robert Hermann: Das Engagement US-amerikanischer Firmen in Deutschland hat im vergangenen Jahr deutlich zugelegt. Das belegen sowohl die Daten, die wir erheben, als auch Daten aus anderen Quellen. Im Vorjahr wurden insgesamt 345 US-Projekte registriert – eine Rekordmarke. Zum Vergleich: Im Jahr 2017 wurden 276 Projekte registriert. Für die neuen Bundesländer wurden 2018 insgesamt 51 Projekte gemeldet, was einer Steigerung von 24 Prozent entspricht. Der überwiegende Teil der Unternehmen, das gehört zur Wahrheit dazu, siedelte sich in Berlin an.
Dr. Robert Hermann: Der Welthandel ist insgesamt beeinflusst und somit auch die deutsche Wirtschaft. Uns liegen zwar keine konkreten Zahlen vor, aber wir stellen in vielen Einzelgesprächen fest, dass sich die Unternehmen massiv mit den Folgen dieses Konfliktes befassen. Dabei geht es oft um komplexe Fragestellungen. Etwa, ob man künftig in den USA produzieren muss, um den amerikanischen Markt zu versorgen und wie man vorgeht, wenn man diese Produkte dann auch auf dem chinesischen Markt verkaufen will.
W+M: Wie beurteilen Sie das spürbare Interesse chinesischer Investoren an innovativen deutschen Mittelständlern?
Dr. Robert Hermann: Ich muss eines vorweg schicken: Wir betreuen keine ausländischen Unternehmen, die in Deutschland Firmen akquirieren wollen. Nichts desto trotz wird uns Ihre Frage häufig gestellt. Es gibt nicht den bösen oder schlechten chinesischen Investor. Sondern es gibt den schlechten Investor. Es gibt jede Menge Erfahrungen beispielsweise mit ausländischen Hedgefonds, die sich in deutsche Unternehmen einkaufen, in dessen Folge diese Unternehmen stark leiden. Wir wissen aber, dass manch chinesischer Investor, der nach Deutschland kommt, der auserkorenen deutschen Firma eine richtige Chance bietet. Das belegt eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Die besagen, dass beispielsweise die betriebliche Mitbestimmung gestärkt wurde und die Beschäftigten wieder eine echte Perspektive für ihr Unternehmen sehen.
Ich will damit sagen, dass es nicht Schwarz oder Weiß gibt, nach dem Motto, die Chinesen sind die Bösen und die anderen sind die Guten. Es ist immer abhängig vom einzelnen Investor.
Der wichtigste Effekt, den chinesische Investoren deutschen Firmen bieten können, ist der Markteintritt in China. Das ist ein Riesenasset für deutsche Unternehmen. Denn ohne den chinesischen Investor ist es ausgesprochen schwer, in diesen schwierigen und fremden Markt zu kommen.
Dr. Robert Hermann: Man muss den chinesischen Markt verstehen. Die Kultur ist anders, das Geschäfts- und Verhandlungsgebahren ist anders als wir es aus Europa kennen. Daher sollte man sich gut vorbereiten und den Rat von Experten suchen. Dafür steht die GTAI zur Verfügung, aber auch die Außenhandelskammern.
W+M: Ist das China-dominierte Projekt „Neue Seidenstraße“ eine Chance für den ostdeutschen Mittelstand?
Dr. Robert Hermann: Die Seidenstraße ist ein chinesisches Regierungsprojekt und bietet daher zunächst direkt chinesischen Auftragnehmern Potenzial für Wachstum. Indirekt ist der Charme aber auch für ausländische und somit auch ostdeutsche Unternehmen groß, von dem Projekt zu profitieren. Indem man Partnerschaften zu chinesischen Unternehmen nutzt, die bei der „Neuen Seidenstraße“ engagiert sind, und als Zulieferer agiert.
W+M: Die AfD hat bei den jüngsten Wahlen in den neuen Bundesländern stark zugelegt. Sind Ihnen Beispiele bekannt, dass ausländische Investoren aus diesem Grund abgesprungen sind?
Dr. Robert Hermann: Solche Beispiele, die auf das Erstarken der AfD oder ein vergiftetes gesellschaftliches Klima zurückzuführen wären, sind uns nicht bekannt. Wir haben keinen Investor, der aus diesem Grund abgesagt hat oder einem anderen Bundesland investiert hat.
W+M: Nachfrage: Sie sind mit Ihren Experten in vielen Ländern vor Ort. Wie wird das Erstarken der AfD speziell im Osten Deutschlands international bewertet?
Dr. Robert Hermann: Der Einflussgewinn populistischer Parteien ist ja kein rein deutsches Thema, sondern eine international zu beobachtende Entwicklung. Das wird in der Welt natürlich auch besprochen, aber nach meiner Kenntnis nicht mit einem eindeutigen Bezug auf Deutschland. Deutschland betreffend stehen eher andere Themen im Fokus, etwa die Frage nach der Verfügbarkeit von Fachkräften und die Energiepreise.
W+M: Die Aufgaben für die GTAI werden sich ändern. Können Sie die wichtigsten Punkte kurz skizzieren?
Dr. Robert Hermann: Das Auslaufen des Solidarpaktes hat selbstverständlich auch Auswirkungen auf die Aufgaben der GTAI im Sinne der Förderung der neuen Bundesländer – also Standortmarketing, Investorenwerbung und Internationalisierung der Wirtschaft im weitesten Sinne. Für uns bedeutet das, dass sich der Schwerpunkt unserer Tätigkeit ändert. Weg von der ausschließlichen Fokussierung auf die neuen Länder, hin zur Fokussierung auf strukturschwache Regionen in ganz Deutschland. Daraus ergeben sich völlig neue Herausforderungen für das Standortmarkting, da es dann nicht mehr um eine große kompakte Region sondern um viele kleinere Regionen geht, die überall in Deutschland verteilt sind.
Insgesamt hat die GTAI das Ziel, zur zentralen Anlaufstelle der deutschen Außenwirtschaftsförderung zu werden. Wir wollen künftig nicht nur Informationen sondern auch Dienstleistungen für deutsche Exporteure anbieten. Für das größer werdende Aufgabenspektrum wird die GTAI weiter wachsen. Bereits in diesem Jahr haben wir 50 neue Mitarbeiter eingestellt. Künftig werden wir unser Augenmerk übrigens auch wesentlich stärker auf Afrika lenken, wo wir neue Standorte besetzt und ein neues Portal geschaffen haben, den „Africa Business Guide“.
W+M: Sie sind persönlich im Advisory Board des OWF.ZUKUNFT. Welche Rolle spielt das Ostdeutsche Wirtschaftsforum aus Ihrer Sicht?
Dr. Robert Hermann: Ich war bisher immer beeindruckt von der Vielzahl der relevanten Teilnehmer, die sich zum Thema neue Bundesländer ausgetauscht haben. Einen Rahmen zu haben, der zwar überschaubar aber trotzdem relevant ist, finde ich sehr gut. Spannend wird die Frage sein, wie das Thema Ostdeutschland nach dem Auslaufen des Solidarpaktes im gesamtdeutschen Kontext debattiert wird und wie sich die Bundesregierung dazu verhält.
Interview: Karsten Hintzmann und Frank Nehring