Manuela Schwesig: „Investoren schauen sehr genau hin, in welchem Umfeld sie investieren.“
W+M sprach mit Manuela Schwesig, der Ministerpräsidentin des Landes Mecklenburg-Vorpommern über die Ergebnisse der jüngsten Wahlen im Osten, die SPD und über die Entwicklung der Wirtschaft im Land.
W+M: Frau Schwesig, die AfD hat bei den jüngsten Wahlen im Osten stark zugelegt. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Manuela Schwesig: Es gelingt der AfD leider, den gesellschaftlichen Unmut einzusammeln. Wenn man sich die Entwicklung der Partei anschaut, dann ist klar, dass das Thema Flüchtlingspolitik eine entscheidende Rolle beim Erstarken der AfD gespielt hat. Aber die Zahl der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge ist seit 2016 deutlich zurückgegangen. Trotzdem hat die AfD bei den Wahlen dazugewonnen. Das zeigt, dass die Ursachen tiefer liegen.
W+M: Wie lassen sich zur AfD abgewanderte Wähler aus Ihrer Sicht wieder zurückgewinnen?
Manuela Schwesig: Wir müssen auf Bundesebene und Landesebene mit guter Regierungsarbeit überzeugen und für konkrete Verbesserungen für die Bürgerinnen und Bürgern sorgen. Bei uns im Land schaffen wir beispielsweise gerade die Elternbeiträge für die Kita ab. Für Krippe, Kindergarten, Hort und Tagespflege. Damit machen wir nicht nur das Kita-Angebot attraktiver. Das ist zugleich auch die größte Familienentlastung in der Geschichte unseres Landes.
W+M: Auch in Ihrem Bundesland trifft die AfD auf recht starken Zuspruch. Welche Strategie setzen Sie als Ministerpräsidentin und Ihre gesamte Landesregierung dagegen?
Manuela Schwesig: Wir setzen auf gute Regierungsarbeit und auf Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern. Ich bin als Ministerpräsidentin viel im Land unterwegs, ebenso wie die Ministerinnen und Minister. Dazu kommt bei uns die Veranstaltungsreihe „Landesregierung vor Ort“. Die Ministerinnen und Minister bieten regelmäßig Bürgerforen im ganzen Land an. Da hören wir zu und nehmen Anregungen auf. Wir erläutern aber auch, was wir als Landesregierung tun und wo es noch Schwierigkeiten gibt. Ich habe sehr gute Erfahrung mit diesen Dialogformaten gemacht.
W+M: Befürchten Sie, dass das Erstarken der AfD internationale Investoren von einem Engagement in den neuen Ländern abbringen könnte?
Manuela Schwesig: Dafür gibt es zum Glück bislang keine Anzeichen. Aber klar ist auch: Investoren schauen sehr genau hin, in welchem Umfeld sie investieren. Und natürlich spielt es eine Rolle, wie gut ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei uns leben können. Ich bin deshalb sehr froh, dass sich die Wirtschaft bei uns in Mecklenburg-Vorpommern sehr klar für eine offene Gesellschaft einsetzt.
W+M: Kommen wir zu Ihrer Partei, der SPD. Sie hat – wenn wir bei den jüngsten Wahlen bleiben – in den neuen Ländern enorme Stimmenverluste zu beklagen. Was macht die SPD im Osten falsch?
Manuela Schwesig: Ich freue mich darüber, dass Dietmar Woidke seine erfolgreiche Arbeit als Ministerpräsident in Brandenburg fortsetzen kann. In absoluten Zahlen hat die SPD dort sogar Stimmen hinzugewonnen. In Sachsen hatte es die SPD sehr schwer, obwohl die Arbeit von Martin Dulig als Wirtschaftsminister von einer Mehrheit der Wählerinnen und Wähler positiv bewertet wurde. Das zeigt: Die Ursachen für die Schwierigkeiten liegen weniger in den Ländern. Es ist die Stimmung im Osten insgesamt. Und fairerweise muss man sagen, dass die SPD auf Bundesebene in den letzten Monaten den Wahlkämpfern vor Ort keinen Rückenwind gegeben hat.
W+M: Nachfrage: Ist die SPD in den neuen Ländern zu weit weg von den einfachen Menschen oder sind ihre Themen zu beliebig?
Manuela Schwesig: Weder noch. Ich habe den Eindruck, dass wir mit unseren Themen nahe bei den Menschen sind. Ein Beispiel: Wir kämpfen auf Bundesebene dafür, dass die Grundrente endlich kommt. Das ist ein klassisch sozialdemokratisches Thema. In den ostdeutschen Ländern geht jetzt die Generation in Rente, die in den Jahren nach 1990 oft nur unterdurchschnittliche Löhne erhalten hat. Für mich ist klar: Wer sein Leben lang gearbeitet hat, muss am Ende seines Arbeitslebens mehr Rente erhalten als derjenige, der das nicht getan hat. Deshalb brauchen wir eine Grundrente für langjährige Beschäftigte, die über der Mindestsicherung liegt.
W+M: Ihr Bundesland gehört zu den ganz wenigen Regionen Ostdeutschlands, in denen die SPD nach wie vor gute Umfragewerte erhält. Verraten Sie uns Ihr Erfolgsrezept?
Manuela Schwesig: Es wäre illusorisch zu glauben, dass die Stimmung auf Bundesebene spurlos an uns vorbeigeht. Aber wir haben das klare Ziel, bei der nächsten Landtagswahl wieder stärkste Kraft im Land zu werden. Deshalb mache in den Gesprächen mit den Bürgerinnen und Bürgern deutlich, wofür die SPD in Mecklenburg-Vorpommern steht. Wir bringen das Land wirtschaftlich voran, damit Arbeitsplätze entstehen und gesichert werden und damit wir auch bei der Lohnangleichung vorankommen. Und wir sind die Partei, die für einen starken sozialen Zusammenhalt eintritt, die Familien und Kinder, aber auch die Älteren in unserer Gesellschaft unterstützt. Zum Beispiel mit der beitragsfreien Kita oder unserem Eintreten für die Grundrente.
W+M: In Ihrem Bundesland stehen erst im Jahr 2021 wieder Landtagswahlen an. Was haben Sie für Ihre eigene Arbeit als Regierungschefin aus den jüngsten Wahlen gelernt?
Manuela Schwesig: Das Ergebnis der Wahlen zeigt, dass die Ministerpräsidenten auch in diesen schwierigen Zeiten gute Chancen haben, mit ihrer Partei stärkste Kraft zu werden. Das wünsche ich mir natürlich auch 2021 bei uns.
W+M: Was muss die Sozialdemokratie tun, um nicht nur einen weiteren Absturz zu verhindern, sondern um wieder die Statur einer Volkspartei in Deutschland zu bekommen?
Manuela Schwesig: Zunächst einmal müssen wir die Parteispitze neu besetzen. Dann müssen wir wieder an Profil gewinnen. Ich bin davon überzeugt, dass die SPD gerade in Zeiten einer wachsenden gesellschaftlichen Spaltung gebraucht wird. Denn wir sind die Partei, die die Dinge zusammenführt. Wir stehen für eine starke Wirtschaft, für sozialen Zusammenhalt, für den Schutz der Umwelt und unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Und nicht nur für eines dieser Ziele wie CDU/CSU, Linke und Grüne.
W+M: Wäre eine Fusion mit den Linken eine Option für Sie?
Manuela Schwesig: Nein. Man kann rückblickend sicher darüber streiten, ob die SPD nach 1990 ehemalige SED-Mitglieder zur Mitarbeit in unserer Partei hätte einladen sollen. Vielleicht hätte sich die PDS und spätere Linke dann nie etabliert. Man darf aber nicht vergessen, dass sich die SDP im Herbst 1989 gegen die SED-Herrschaft gegründet hat. Und zwar mit einem erheblichen Risiko für die Parteigründer. Es war ja nicht klar, dass die Friedliche Revolution gut ausgehen würde. Diese Konstellation hat das Verhältnis zwischen SPD und PDS in den ersten Jahren nach der Friedlichen Revolution stark geprägt. Erst mit der ersten rot-roten Landesregierung unter Ministerpräsident Harald Ringstorff 1998 hier in Mecklenburg-Vorpommern ist so etwas wie Normalität in das Verhältnis zwischen SPD und PDS eingekehrt. Ich sehe weder in der einen noch in der anderen Partei den Wunsch nach einer Fusion.
W+M: Insgesamt betrachtet hat sich 30 Jahre nach dem Mauerfall und 29 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung die Stimmung bei den Ostdeutschen stark eingetrübt. Von der einstigen Euphorie ist nicht so viel übrig. Sind die „Ossis“ einfach nur undankbar oder wo liegen aus Ihrer Sicht die größten Defizite beim Zusammenwachsen von Ost und West?
Manuela Schwesig: Ich warne vor Schwarz-Weiß-Malerei. Die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern führt einmal im Jahr eine Meinungsumfrage durch, den MV-Monitor. Aktuell sagen da 88 Prozent, dass sich unser Land seit der Deutschen Einheit gut oder sogar sehr gut entwickelt hat. Die Menschen sehen also die Fortschritte. Sie wissen aber auch sehr genau, wo Defizite bestehen. Wir haben trotz aller Fortschritte immer noch wirtschaftlichen Rückstand. Es gibt auch 30 Jahre nach der friedlichen Revolution noch keine gleichen Löhne und keine gleichen Renten. Und es fehlte in den letzten 30 Jahren leider allzu oft an Respekt vor ostdeutschen Lebensleistungen. Zu einer ehrlichen Bilanz gehören die Fortschritte und die Defizite
W+M: Eine starke Wirtschaft ist die Grundlage für Beschäftigung und Wohlstand. Wie ist es um die Unternehmen in Ihrem Land aktuell bestellt – vor dem Hintergrund des Brexits, der restriktiven Handelspolitik des US-Präsidenten und der fortbestehenden Sanktionen gegen Russland?
Manuela Schwesig: Unser Land hat in den letzten Jahren deutlich an Wirtschaftskraft gewonnen. Wir sind vielleicht nicht so stark vom Export abhängig wie andere Bundesländer. Aber natürlich sehen wir auch die wirtschaftliche Entwicklung mit Sorge. Unsere wichtigste Antwort besteht darin, dass wir in Mecklenburg-Vorpommern mit dem Doppelhaushalt 2020/2021, der gerade im Parlament beraten wird, die Investitionen nach oben schrauben. Wir verbessern insbesondere die digitale Infrastruktur im Land.
W+M: In welche Wirtschaftsbranchen setzen Sie die größten Hoffnungen, wo gibt es Wachstumspotenzial?
Manuela Schwesig: Mecklenburg-Vorpommern wird von außen vor allem als Tourismusland wahrgenommen. Das ist unsere stärkste Branche. Aber wir haben noch viel mir zu bieten. Ich sehe weiteres Wachstumspotential in der Gesundheitswirtschaft. Sie trägt in Mecklenburg-Vorpommern 15 Prozent zur Bruttowertschöpfung bei. Das ist der Spitzenwert bundesweit. Die maritime Wirtschaft bei uns im Land hat mit dem Kreuzfahrtschiffbau eine neue Perspektive gewonnen. Und ich bin davon überzeugt, dass Umwelttechnik und klimafreundliche Technologien an Bedeutung gewinnen werden. Das ist auch für die Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern eine große Chance.
Interview: Karsten Hintzmann