Die enviaM-Gruppe ist der führende regionale Energiedienstleister in Ostdeutschland. Das über 3.300 Mitarbeiter zählende Unternehmen versorgt mehr als 1,3 Millionen Kunden mit Strom, Gas, Wärme und Energie-Dienstleistungen. Seit gut einem Jahr ist Dr. Stephan Lowis Vorstandsvorsitzender der enviaM. Er sieht die enviaM-Gruppe in Zukunft vor allem als Treiber der Digitalisierung der Energiewende, wie er Wirtschaft und Markt im Sommerinterview verriet.
Dr. Lowis: Durchweg positiv. Ich bin sehr gut aufgenommen worden und habe hier eine hoch motivierte und exzellent ausgebildete Mannschaft vorgefunden. Aber nichts anderes habe ich erwartet, wenn ich ehrlich bin.
W+M: Also mussten Sie nichts verändern?
Dr. Lowis: Veränderungen im Sinne von Weiterentwicklung hat es schon gegeben – das ist ein Prozess, der weniger mit einem neuen Chef als vielmehr mit der Notwendigkeit des Sich-Einstellens auf neue Marktanforderungen zu tun hat. Mir ist es zum Beispiel wichtig, dass unsere Mitarbeiter Freude an dem haben, was sie tun. Dass sie motiviert zu Werke gehen. Dass sie nicht nur Aufgaben abarbeiten, sondern überlegen, wie sie selbst das Unternehmen weiter nach vorn bringen können. Dafür haben wir in unserer Vorstandssitzung monatlich eine Stunde für „envia-Macher“ reserviert. Hier können Mitarbeiter ihre Ideen zum Beispiel zur Effizienzsteigerung, Arbeitserleichterung oder Serviceverbesserung vorstellen. Wir entscheiden dann, ob wir das Projekt umsetzen.
Gespannt auf Anregungen aus der Belegschaft
W+M: Wie wurde das Angebot angenommen?
Dr. Lowis: Zunächst natürlich zögerlich. Aber mittlerweile hat es sich herumgesprochen, dass wir es als Vorstand ernst meinen, wenn wir sagen, dass wir auf die Anregungen unserer Belegschaft gespannt sind. Jetzt kommen die Leute und tragen ihre Vorschläge vor – und da sind richtig gute Sachen dabei. Erste Projekte haben wir auch schon umgesetzt. Und keiner braucht Angst davor zu haben, dass ein Plan mal nicht so gut funktionieren könnte. Scheitern ist in diesem Prozess ausdrücklich erlaubt. Wichtig ist mir, dass die Mitarbeiter etwas ausprobieren. Dass sie sich trauen, auch unkonventionelle Wege zu gehen.
W+M: Warum ist Ihnen das so wichtig?
Dr. Lowis: Weil die Ideen, die unser Unternehmen letztlich voranbringen, zu allererst am Arbeitsplatz der Kollegen entstehen und nicht am Vorstandstisch. Und wir brauchen genau diese Ideen, wenn wir als enviaM-Gruppe unseren Platz an der Spitze der Energiedienstleister in Ostdeutschland behalten wollen. Und das wollen wir! Aber dafür müssen wir viele Dinge neu denken und uns an manchen Stellen vielleicht sogar neu erfinden.
W+M: Was meinen Sie damit?
Dr. Lowis: Gegenfrage: Was verbinden Sie mit dem Begriff „Energiedienstleister“? Ein Unternehmen, das zuverlässig und zu bezahlbaren Preisen Energie und die dafür notwendigen Dienstleistungen bereitstellt? Das ist im Prinzip richtig, reicht heute aber bei weitem nicht mehr aus. Wir sind mehr als Energieerzeuger und -lieferant oder Betreiber von Energienetzen. Wir sind Manager eines Marktes, der ständig in Bewegung ist und deutlich mehr umfasst als die klassische Versorgung mit Energie. Wir müssen den Kernenergie- und Kohleausstieg stemmen und bei der Weiterentwicklung der Energiewende den Wärme- und Verkehrssektor im Blick behalten. Wir sind damit der Wegbereiter für ein ganz neues Energiezeitalter. Dafür müssen wir in allen Bereichen neue Pfade gehen.
Digitalisierung ist kein Nischenthema
W+M: Das klingt ziemlich komplex, gibt es dafür eine einfache Formel zur Umsetzung?
Dr. Lowis: Einfach wird dieser Prozess ganz bestimmt nicht. Das merken wir jeden Tag. Aber ja, es gibt etwas, woran niemand vorbeikommt, der es mit dem Klimaschutz und der Energiewende ernst meint: Digitalisierung. Wer heute noch meint, Digitalisierung sei ein Nischenthema, der irrt. Ich bin davon überzeugt, dass die Digitalisierung unsere einzige Chance ist, die vor uns liegenden komplexen Aufgaben bei der Umsetzung der Energiewende und des Erreichens der Klimaschutzziele zu bewältigen.
W+M: Woran machen Sie das fest?
Dr. Lowis: Lassen Sie mich ein ganz einfaches Beispiel machen: Um Energie einzusparen, muss ich zuerst wissen, wo meine größten Energieverbraucher sind. Das gilt für den Privathaushalt wie für das Unternehmen. Mit digitaler Messtechnik ist das recht schnell möglich. Wir haben eine App entwickelt, die aufspürt, „wer“ im Haus gerade wieviel Strom verbraucht und was das kostet. Sie macht also Dinge für den Kunden sichtbar, die bislang im Verborgenen geblieben sind. Von dieser Information ausgehend, kann der Kunde entsprechende Entscheidungen zum Gerätewechsel oder Ähnliches treffen. Stehen uns als Energieversorger derartige Informationen zur Verfügung, können wir Energieflüsse besser steuern. Ein Punkt, der im Übrigen ganz wichtig wird, wenn die Elektromobilität tatsächlich Fahrt aufnimmt. Wir sprechen hier über intelligentes Laden – also die zeitliche Steuerung der Ladevorgänge für die Elektrofahrzeuge über den Energieversorger in Absprache mit dem Kunden. Dafür benötigen Sie entsprechend intelligente, sprich digitale Technik.
Wir müssen dieses „Internet der Energie“ eben immer weiterentwickeln
W+M: Dinge, die die enviaM-Gruppe bereits in den vergangenen Jahren mit dem „Internet der Energie“ versucht hat, zu beschreiben und seinen Kunden näher zu bringen…
Dr. Lowis: Das ist richtig. Aber wir müssen dieses „Internet der Energie“ eben immer weiterentwickeln. An unserem Netz hängen schon heute schon rund 40.000 dezentrale Energieerzeugungsanlagen, deren Leistung witterungsbedingt stark schwankt. Hier brauchen wir unser „Internet der Energie“ als eine digitale Plattform zwischen Erzeugern und Verbrauchern, um eine intelligente Energiesteuerung zu ermöglichen. Natürlich kommen wir am Netzausbau nicht vorbei. Aber die vorhandenen Netze effizient zu managen, spart letztlich Ressourcen, die wir an anderer Stelle dringend benötigen. Das gilt im Übrigen für finanzielle Mittel ebenso wie für Material und Personal. Und deshalb sage ich auch: Die Digitalisierung macht nicht arbeitslos. Im Gegenteil, sie setzt Kreativität und Ressourcen für andere Bereiche frei.
Energiewende nicht ganzheitlich genug betrachtet
W+M: Sie haben die Energiewende bereits angesprochen. Der Ausstieg Deutschlands aus der Kernenergie ist besiegelt, bis 2038 soll zudem der Ausstieg aus der Kohleverstromung erfolgen. Ist die Energiewende damit vollzogen?
Dr. Lowis: Ein ganz klares Nein. Weil nach wie vor fast ausschließlich auf den Stromsektor geschaut wird. Der Wärme- und der Verkehrssektor bleiben bei der Betrachtung zur Energiewende bis jetzt weitgehend außen vor. Beide Sektoren hinken entsprechend hinterher. Wir könnten hier schon viel weiter sein. Aus meiner Sicht wird die Energiewende nicht ganzheitlich genug betrachtet. Dazu gehört für mich auch, dass man nie aus den Augen verlieren darf, dass Deutschland ein Industrieland ist. Das muss man bei allen Überlegungen und der Suche nach künftigen Energie- und Antriebsquellen mit beachten.
W+M: Gilt das auch für die Betrachtung künftiger Mobilität?
Dr. Lowis: Das gilt für die Betrachtung der Quellen, aus denen wir künftig Strom und Wärme erzeugen und ja, das gilt auch für die Suche nach Quellen für die Mobilität von morgen. Denn auch nach dem Aus der Kohleverstromung müssen wir unsere Industriebetriebe weiterhin sicher mit Energie versorgen. Das WIE muss beantwortet sein, bevor das letzte Kohlekraftwerk vom Netz geht. Auch das Energiespeicherthema spielt hier eine große Rolle. Und bei der Mobilität der Zukunft sollten wir uns nicht zu früh auf nur eine einzige Technologie versteifen und neben dem Elektromotor auch die Brennstoffzelle weiterverfolgen. Wir sprechen uns in jedem zu betrachtenden Sektor für eine technologieoffene Sichtweise aus.
W+M: Was aber einen viel größeren Grad der Zusammenarbeit auch über Branchengrenzen hinaus erfordert…
Dr. Lowis: Da gebe ich Ihnen Recht, und die enviaM-Gruppe lebt dies auch schon vor. Wir müssen alle mehr als bislang über unseren eigenen Tellerrand schauen. Dabei geht es zum einen darum, von den Erfahrungen anderer zu profitieren – etwa wenn es um Anwendungsfelder der Digitalisierung geht. Zum anderen muss man aber auch bereit sein, sein eigenes Know-how Dritten zur Verfügung zu stellen.
W+M: Geht in diese Richtung auch das Konzept des Energiekonvents, der in diesem Jahr am 23. September traditionell im Leipziger Kubus stattfindet?
Dr. Lowis: Natürlich. Stand beim Start der Veranstaltungsreihe im Jahr 2008 noch die Behandlung klassischer Energiethemen im Mittelpunkt, blicken wir heute bewusst über unsere Branchengrenzen hinaus. Unsere Gäste sollen sich zudem künftig sehr viel stärker selbst in die Diskussion einbringen. Dafür bleibt ab sofort ein Stuhl im Podium frei, und jeder ist eingeladen, für eine gewisse Zeit dort Platz zu nehmen. Inhaltlich wird auch in diesem Jahr die Digitalisierung eine große Rolle spielen. Unser Thema lautet: „KI, IoT, Deep Learning, Blockchain & Co. – Wie verändert uns die Digitalisierung?“ Unsere Experten auf dem Podium werden u.a. Marcus Beckedahl, Chefredakteur netzpolitik.org, Axel Menneking, Managing Director TELEKOM hub:raum und Katharina Hochfeld, Leiterin Unternehmenskultur und Transformation am Berliner Fraunhofer Center for Responsible Research and Information sein. Das wird bestimmt spannend.
Sehr gutes Ergebnis in 2018 und optimistisch für 2019
W+M: Herr Dr. Lowis, gestatten Sie noch eine abschließende Frage: Wie ist die enviaM-Gruppe für all die Herausforderungen, die Sie uns jetzt aufgezählt haben, wirtschaftlich aufgestellt?
Dr. Lowis: Sehr gut. Wir haben im Geschäftsjahr 2018 mit rund 325 Millionen Euro erneut ein sehr gutes Ergebnis erzielt. Auch für 2019 sind wir optimistisch und rechnen mit ähnlich guten Zahlen. Fest steht schon jetzt, dass wir die Investitionen weiter kräftig steigern werden. So planen wir beispielsweise in den kommenden fünf Jahren allein rund 250 Millionen Euro für die Digitalisierung der Energiewende in Ostdeutschland aufzuwenden.
Vielen Dank für das Interview.
Das Interview führten Frank Nehring und Katrin Kleeberg.