Künstliche Intelligenz, nachhaltige Mobilität, Energiewende – in der Wirtschaft vollzieht sich derzeit ein radikaler technologischer Wandel. Auch in Ostdeutschland zählen viele Unternehmen zu den Pionieren der neuen Technologien. Sie könnten künftig das Rückgrat des Mittelstands bilden. Von Matthias Salm
Leuchttürme – Die 150 innovativsten Unternehmen im Osten. So lautete die Titelzeile der Januar-Ausgabe von WIRTSCHAFT+MARKT. Ein bewusst gewählter Themenschwerpunkt, der bei unseren Lesern wie auch Experten auf große Resonanz stieß. Rückte er doch viele so genannte „Hidden Champions“ des ostdeutschen Mittelstands ins verdiente Scheinwerferlicht, die sonst eher im Stillen an zukunftsweisenden Lösungen für die technologischen Herausforderungen arbeiten, denen sich Unternehmen in vielen Branchen gegenwärtig stellen müssen.
Auch die hervorragende Forschungsinfrastruktur in den neuen Bundesländern haben wir mit ausgewählten Beispielen der Spitzenforschung wie etwa das Potsdamer Hasso-Plattner-Institut, Deutschlands universitäres Exzellenz-Zentrum für Digital Engineering, gewürdigt. Denn viele innovative Produkte und Verfahren entstehen in enger Kooperation zwischen Mittelstand und Forschungseinrichtungen. Auch große Konzerne suchen in Ostdeutschland mittlerweile nach jungen Ideen: So die Volkswagen AG in ihrem Dresdner „Future Mobility Incubator“. In der Gläsernen Manufaktur unterstützt der Wolfsburger Autokonzern Start-ups, die ihre innovativen Geschäftsideen rund um das Thema Nachhaltige Mobilität weiter vorantreiben wollen.
Die Auswahl der 150 Unternehmen in der Januar-Ausgabe von W+M bildete nahezu die gesamte Vielfalt des Erfindergeists zwischen Ostsee und Erzgebirge ab. Darunter fanden sich Start-ups wie die Dresdner CLOUD&HEAT Technologies GmbH, die IT-Infrastrukturen in Form maßgeschneiderter Cloud-Lösungen anbietet. Sie verbindet dabei Digitalisierung und Energiewende, indem die Serverwärme als Heizquelle genutzt wird. Oder die Greifswalder COLDPLASMATECH GmbH, die mit kaltem Plasma chronische Wunden bekämpft und damit die Erkenntnisse der Greifswalder Plasma-Forschung in ein erfolgsversprechendes medizintechnisches Produkt überführt hat. Aber auch Schwergewichte des Mittelstands wie beispielsweise die Chemnitzer Maschinenbauer der NILES-SIMMONS-HEGENSCHEIDT-Group oder der brandenburgische Energiekonzern E.DIS AG treiben den technologischen Fortschritt.
Politik setzt auf Innovationen
Und das Thema bleibt aktuell. So sieht das Anfang des Jahres veröffentlichte Strategiepapier der CDU für Ostdeutschland vor, Innovationen als Motor für den Wandel in strukturschwachen Regionen noch stärker zu fördern. Als erster Prüfstein hierfür dürfte sich schon in naher Zukunft die Lausitz erweisen. Nach Ende des Braunkohleabbaus soll beispielsweise als eines von vier Lausitz-Clustern eine Modellregion für klimafreundliche, moderne Mobilität entstehen, etwa mit der Entwicklung und Produktion von Leichtbaumaterialien für Straße und Schiene.
Auch bei der Energiewende hofft die Lausitz, als Innovationsstandort punkten zu können. So wird das Bundesumweltministerium noch in diesem Jahr in Cottbus ein Kompetenzzentrum Klimaschutz in energieintensiven Industrien (KEI) eröffnen. Es richtet sich an Branchen mit hohem Energieeinsatz wie Stahl, Zement oder Teile der chemischen Industrie. Die Fraunhofer-Gesellschaft will mit einem „Institut für Geothermie und Energieinfrastruktur“ ebenfalls einen neuen Forschungsschwerpunkt in der Lausitz etablieren.
Neue Institute für Sachsen
Während einige Pläne für die ehemaligen Bergbauregionen noch Zukunftsmusik sind, wird andernorts schon konkret der Innovationsstandort Ostdeutschland ausgebaut. So sollen in Sachsen Kompetenzen in der Forschung zur Künstlichen Intelligenz (KI) gebündelt werden. Die Fraunhofer-Gesellschaft plant den Aufbau eines Zentrums für Kognitive Produktionssysteme (CPS), an dem in Dresden und Chemnitz zur Anwendung Künstlicher Intelligenz in der Industrie geforscht wird. Zudem haben Fraunhofer und die Technische Universität Dresden die Gründung eines Centers für Künstliche Intelligenz (CEE AI) in Dresden vereinbart. Beide Einrichtungen sollen die in Dresden und Chemnitz heimischen Branchen wie den Maschinenbau und die Mikroelektronik stärken.
Auch die Hauptstadtregion gehört zu den Vorreitern bei der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz. Fast die Hälfte der deutschen KI-Gründungen erfolgt hier. Mittlerweile tüfteln mehr als 200 Unternehmen an Innovationen in diesem Bereich. Berliner KI-Unternehmen arbeiten vor allem im Bereich Business Intelligence/Prozessmanagement, in der Gesundheitswirtschaft sowie in der Mobilität. Die Dynamik ist beeindruckend: Von den Berlin-Brandenburger KI-Unternehmen wurden fast die Hälfte erst 2014 und später gegründet. Auch an den Berliner Hochschulen beschäftigen sich mittlerweile mehr als hundert Professoren mit dem Thema.
Der Umbau der Verkehrsbranche eröffnet ostdeutschen Unternehmen ebenfalls neue Chancen. Das vom sächsischen Wirtschaftsministerium geförderte Innovationscluster „HZwo – Antrieb für Sachsen“, das gemeinsam von Entwicklern der Technischen Universität Chemnitz, dem Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) sowie regionalen Unternehmen und dem Cluster Energy Saxony getragen wird, soll eine vollständige Wertschöpfungskette für Brennstoffzellenfahrzeuge made in Sachsen erschließen. Das Cluster HZwo entwickelt dabei konkrete Antriebslösungen für eine umweltfreundliche Wasserstoff-Mobilität. Das Innovationscluster SET4FUTURE will der sächsischen Bahnbranche mit ihren 240 Unternehmen und 13.000 Beschäftigten helfen, innovative Komponenten und Dienstleistungen im Bereich Infrastruktur und Fahrzeuge zu entwickeln.
Zu den Hoffnungsträgern zählen auch die mittelständischen Unternehmen der Umwelttechnologie. Sie arbeiten an neuen Entwicklungen in der Energieeffizienz, der Kreislaufwirtschaft, der Materialeffizienz, der nachhaltigen Mobilität und bei den Erneuerbaren Energien. Auf den folgenden Seiten wollen wir deshalb den in unserer letzten Ausgabe begonnenen redaktionellen Schwerpunkt fortsetzen und 15 Unternehmen und Forschungseinrichtungen vorstellen, die gegenwärtig mit neuartigen Green-Tec-Produkten und Verfahren auf sich aufmerksam machen. Sie stehen stellvertretend für die Innovationskraft des ostdeutschen Mittelstands.
Foto: Volkswagen AG
Dieser Beitrag erscheint auch in der Printausgabe von WIRTSCHAFT+MARKT, Frühjahr 2019.